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Digitalisierung und KI im Qualitätsmanagement – Herausforderungen und Erwartungen in der Praxis

QM und die künstliche Intelligenz

Künstliche Intelligenz, Automatisierung und regulatorische Anforderungen stellen Qualitätsverantwortliche vor neue Herausforderungen im Managementsystem – aber auch vor große Chancen. Im Interview berichtet Qualitätsmanagementexperte Dr. Wilhelm Griga über die Entwicklungen im QM, die praktischen Auswirkungen auf QM-Prozesse und welche Rolle die Revision der Norm ISO 9001 spielt.

Digitalisierung verändert viele Geschäftsbereiche – wie sehen Sie konkret die Auswirkungen auf klassische Qualitätsmanagementsysteme oder auch integrierte Systeme in der Praxis?

Griga: Die Digitalisierung verändert auch das Qualitätsmanagement grundlegend. Klassische, eher statische Systeme entwickeln sich zu dynamischen, datengetriebenen. Konkret bedeutet das, dass der Trend weg von Handbüchern und hin zu cloudbasierten, lebendigen und nachverfolgbaren Systemen geht. Dabei ist es sinnvoll, agile Prinzipien und iterativer Zyklen in das QM-System zu integrieren, um für schnelle Marktveränderungen gewappnet zu sein.

Zunehmend werden auch Remote- und KI-gestützte-Audits für datenbasierte, effiziente, effektive Prüfung und Verbesserung angewendet. Die Unternehmen setzen zudem auf Process Mining im Rahmen des Prozessmanagements zur Analyse aller Transaktionen in kurzer Zeit, um Optimierungspotenziale aufzudecken.

Predictive Analytics sowie KI-gestützte Dashboards helfen darüber hinaus dabei, Risiken und negative Trends proaktiv zu identifizieren. Das Managementsystem wird somit zunehmend zum „digitalen Betriebssystem der Organisation“, welches agil mit zielorientierter Flexibilität und Kundenorientierung weiterentwickelt wird.

Wo sehen Sie die größten Potenziale beim Einsatz von Künstlicher Intelligenz in QM-Prozessen?

Griga: Generell besteht das größte KI-Potential in der Unterstützung bei einfachen, administrativen Tätigkeiten im Qualitätsmanagement und bei repetitiven, strukturierten Tätigkeiten in der Qualitätssicherung. Nehmen wir zum Beispiel die Gap-Analyse. KI hilft (Norm-)Anforderungen mit bestehenden Prozessen abzugleichen und Abweichungen zu identifizieren.

Das Reklamationsmanagement kann durch Text-, Sprach-, Sentimentanalysen und KI-Agenten bei der Priorisierung und Bearbeitung von Kundenbeschwerden unterstützt werden. Bei der Qualitätsprüfung erhöhen Bildverarbeitung und Mustererkennung mit KI die Genauigkeit und Zuverlässigkeit. Autonome Systeme können sogar Qualität in Echtzeit überwachen und in Teilbereichen nachregeln.

Und wenn es um Audit-Unterstützung geht, erleichtert KI die Auswertung von Daten und Interviews, schlägt basierend auf früheren Erkenntnissen Auditmaßnahmen vor und vereinfacht die Erstellung von Auditberichten.

Kommen wir nun zu den Risiken. Die gibt es doch sicher auch?

Griga: Die KI ist nur so gut wie ihre Datenbasis. KI muss fair entscheiden und Diskriminierung vermeiden. Black-Box-Modelle erschweren dabei die Nachvollziehbarkeit. Die KI kann Fehler machen und übernimmt keine Verantwortung für Entscheidungen. KI-Systeme und Daten müssen grundsätzlich gegen Angriffe und Manipulation geschützt werden. Deshalb gilt: KI darf nicht blind vertraut werden, menschliche Fachkompetenz und Verantwortung bleiben unverzichtbar. Eine KI dient dem Menschen und nicht umgekehrt.

Welche regulatorischen Entwicklungen – etwa im Bereich Informations- und Cybersicherheit – sind aus Ihrer Sicht besonders relevant für den Alltag als Qualitätsmanager?

Griga: Die NIS2-Richtlinie erhöht die Anforderungen an Cybersicherheit für kritische Infrastrukturen und viele Industrieunternehmen. Betroffene Unternehmen müssen dies in ihren QM-Systemen stärker berücksichtigen.

Der EU AI Act ist hier ebenfalls zu nennen. Er beinhaltet wichtige Vorgaben für KI nach Risikoklassen. Für Qualitätsmanager kann das bedeuten, dass das Qualitätsmanagementsystem besondere Anforderungen erfüllen muss.

Diese Entwicklungen führen dazu, dass das Qualitätsmanagement sich mehr mit Fragen zu IT-Sicherheit, Datenschutz und Compliance beschäftigen muss, auch wenn die Verantwortung in anderen Unternehmensbereichen liegt.

Viele Organisationen tun sich schwer mit der Integration digitaler Tools in bestehende QM-Strukturen. Welche strategischen Erfolgsfaktoren sehen Sie für eine gelungene Transformation?

Griga: Aus meiner Sicht ist Digitalisierung ein Prozess und kein Projekt – über Ziele und Eckpunkte sollte Konsens vorhanden sein. Auf Basis agiler Prinzipien empfiehlt es sich, bei der Umsetzung klein zu starten, schnell zu lernen, zu verwerfen oder zu skalieren.

Kompetenzmanagement, Einbindung, Offenheit, Transparenz, Wertschätzung und Respekt sind dann einige der Punkte, die für erfolgreiches Change-Management stehen. Digitale Transformation und Agilität leben dabei von Vorbildern im Sinne von „Walk the talk“ und von selbstorganisierenden Teams, die schnelle Anpassungen ermöglichen. Iterative Zyklen von „Plan, Do, Check, Act“ sind hierbei auf allen Unternehmensebenen von Vorteil.

Digitale Transformation gelingt insbesondere dann, wenn Technik, Organisation und Kultur gemeinsam weiterentwickelt werden – dabei sollte das QMS über reine Compliance-Absicherung hinausgehen und eine qualitätsorientierte, agile, innovative Kultur ermöglichen.

Im kommenden Jahr wird die ISO 9001:2026 veröffentlicht. Was sind für Sie entscheidende Änderungen?

Griga: Die Revision bringt voraussichtlich einige wichtige Neuerungen, die ich sehr begrüße. Themen wie Klimawandel, Emerging Technologies – beispielsweise KI – und ethisches Verhalten werden explizit adressiert. Die Förderung einer Qualitätskultur und die Berücksichtigung psychologischer und sozialer Faktoren im Arbeitsumfeld stellen eine wichtige Ergänzung dar.

Die aktive Verwaltung von Organisationswissen wird verpflichtender, Nachhaltigkeit und Kundenerlebnis werden stärker im Design- und Entwicklungsprozesse berücksichtigt. Interne Audits und Managementbewertungen werden strategischer und nutzen breitere Datenquellen, zum Beispiel Social Media.

Mit welchem Gefühl und welcher Erwartung blicken Sie auf die Revision der ISO 9001?

Griga: Die Norm bietet bereits heute agile Gestaltungsoptionen und wird diese weiter ausbauen, um sowohl traditionelle als auch agile Arbeitsweisen zu unterstützen. Die Revision der ISO 9001 bedeutet mehr Agilität, Innovationsfähigkeit und Zukunftsorientierung. Sie bleibt ein stabiler Rahmen, aber mit klaren Impulsen für digitale Transformation, Nachhaltigkeit und ethische Verantwortung. In meinen Augen ist es wichtig, dass die neue ISO 9001 die Balance zwischen bewährten QM-Praktiken und neuen Anforderungen findet, um Organisationen dabei zu unterstützen, kundenorientierte Lösungen schneller und in verbesserter Qualität zu liefern.

Informationsangebot der DGQ zur Revision der ISO 9001

Fakten statt Spekulation – unter diesem Motto hat die DGQ auf der Seite iso-9001-revision.info ein Informationsangebot rund um die Revision der ISO 9001:2026 zusammengestellt. Mit Hintergrundberichten, Interviews und Neuigkeiten zum Stand der Revision hält die DGQ alle Interessenten bereits im Vorfeld auf dem Laufenden. Ein wichtiger Bestandteil dieses Angebots bildet eine kostenlose Webinarreihe mit dem Titel „Revisions-Warm-up“. Sie vermittelt Kenntnisse über einige Kern- und Trendthemen, die eine Relevanz im Rahmen der Revision der ISO 9001 aufweisen. Mehr dazu findet sich unter iso-9001-revision.info/webinare »

 

Über den Autor:
Dr. Wilhelm Griga ist Senior Quality Manager bei Siemens Digital Industries. Er ist dort unter anderem für die Themen internationale Organisationsentwicklung, digitale Transformation und agiles Managementsystem zuständig und Teil der Siemens-internen Arbeitsgruppe zur Revision der ISO 9001. Daneben gehört er zur DGQ-Regionalkreisleitung Nürnberg und ist als Dozent an der Hochschule zu Agility und Business Excellence aktiv.

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