Wer managt die Nachhaltigkeit? – Neue Themen, neue Zuständigkeiten

In Unternehmen ist Nachhaltigkeit ein Thema, das Können und Zeit erfordert, Kompetenz und Ressource. Wachsende Verpflichtungen auf Basis neuer gesetzlicher Anforderungen und auch wachsende Einsicht in die Notwendigkeit der Zukunftssicherung begründen neue Funktionen: Nachhaltigkeitsmanager, -berater und -experten. Sie stellen aber vor allem kleine und mittelständische Unternehmen vor erhebliche Herausforderungen.
Welche neuen Rollen zeichnen sich ab, wie richten Unternehmen die Funktionen ein, welche Zuständigkeiten kristallisieren sich heraus? Wird das Thema Nachhaltigkeit eigens adressiert oder mit anderen, wie dem Qualitätsmanagement kombiniert? Die DGQ geht diesen Fragen nach und stützt sich dabei auf Recherchen, Diskussionen in ihrem Netzwerk sowie eine eigens durchgeführte, nicht repräsentative Kurzumfrage mit 100 Teilnehmenden.
Im Vergleich zum Qualitätsmanagement, das in vielen Unternehmen schon lange eingerichtet und mit eigenem Personal ausgestattet ist, sind Stellen für das Nachhaltigkeitsmanagement in weniger Unternehmen und erst seit einigen Jahren geschaffen worden, zumeist innerhalb der vergangenen fünf Jahre. 13 Prozent der Unternehmen in der DGQ-Kurzumfrage planen die Einrichtung einer Stelle für Nachhaltigkeit, 27 Prozent haben und planen zurzeit keine, siehe Abb. 1. Doch das kann sich ändern, wenn externer Druck und interne Notwendigkeit weiter anwachsen.

Abb. 1: Vorhandensein der Funktionen Qualitätsmanagement und Nachhaltigkeitsmanagement
Budget bei den Großen …
Je größer das Unternehmen, desto länger und zahlreicher sind neue Berufsbilder bereits im Einsatz, desto eher ist für Nachhaltigkeit ein eigener Bereich aufgebaut worden. Und gerade in den großen Unternehmen genießt die Nachhaltigkeit zurzeit große Aufmerksamkeit und direkte Anbindung an Vorstände und Geschäftsführungen. Das ist verständlich, ist deren gesetzliche Verpflichtung und persönliche Verantwortung doch besonders umfangreich und weitreichend und der Blick der globalen Öffentlichkeit auf ihre Nachhaltigkeitsaktivitäten und vor allem auch -unterlassungen fokussiert. Die Nachhaltigkeitsbereiche der Konzerne erfahren zurzeit eine Bedeutung, Wertschätzung und Budgetierung, auf die andere Stabs- und Expertenfunktionen durchaus sehnsüchtig und nicht selten ein wenig neidisch blicken.
Pragmatismus bei den Kleinen …
Im Mittelstand, vor allem in den zahlreichen kleinen Unternehmen, zeigt sich ein anderes Bild. Einige Unternehmen schlagen die recht neue Funktion Nachhaltigkeitsmanagement sehr pragmatisch einer bereits vorhandenen Stelle zu. Ein naheliegender Kandidat ist das Qualitätsmanagement, siehe Abb. 2.

Abb. 2: Einzel- oder Doppelfunktion
Zum einen herrscht gerade ein Engpass an Expertinnen und Experten für Nachhaltigkeit und die großen Unternehmen sowie Unternehmensberatungen grasen den ohnehin dünn besetzten Bewerbermarkt ab. Zum anderen schlägt der Aufbau dieser Personalressourcen umso stärker zu Buche, je kleiner das Unternehmen ist.
Kleine Unternehmen, insbesondere produzierende, haben zumeist eine Beauftragte oder einen Beauftragten für Qualitätsmanagement und bitten diese pragmatisch, das Thema Nachhaltigkeit mitzuverarbeiten. Dieser Impuls ist umso stärker, wenn Leitungen Nachhaltigkeit vor allem mit formaler Anforderungserfüllung und Berichtspflichten verbinden. Dann gibt es ausgeprägte Verwandtschaften zum und Synergien mit dem Qualitätsmanagement.
Dennoch erzeugt dieses „Job Enrichment“, diese Aufgabenanreicherung, zusätzliche Aufwände, ohne dass mehr Ressource verfügbar wäre. Sie verlangt von den Qualitätsbeauftragten, sich neue Kompetenzen anzueignen, was für sie den Initialaufwand für die Übernahme des Nachhaltigkeitsmanagements noch deutlich erhöht. So sind in der Praxis einzelne Qualitätsmanagerinnen und -manager nicht glücklich über den Themenzuwachs. Andere begrüßen, dass das Unternehmen hier aktiver wird, und haben durchaus selbst auch Motivation und Interesse, das Nachhaltigkeitsmanagement auszubauen oder weiterzuentwickeln.
Berufsbild Nachhaltigkeitsmanager Die Themen Nachhaltigkeit und Klimaschutz gehören zu den Megatrends unserer Zeit. Für Unternehmen wird es somit immer wichtiger, CSR-Maßnahmen umzusetzen und ihrer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht zu werden. Mit dem größeren Fokus auf Nachhaltigkeit haben sich in den letzten Jahren eine Vielzahl an grünen Jobs entwickelt, wie beispielsweise der Job als Nachhaltigkeitsmanager. Antworten auf die wichtigsten Fragen finden Sie in unserem Berufsbild zum Nachhaltigkeitsmanager:
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Risiken der Trennung und Chancen der Integration
Je größer ein Unternehmen, desto stimmiger ist eine Spezialisierung und damit einhergehende Differenzierung von Stabs- und Expertenbereichen. Doch ob organisatorisch getrennt oder nicht: Zusammenarbeit ist ein Schlüssel zur Wirksamkeit. Oder andersherum, fehlende Kooperation schafft Widersprüchlichkeiten, Dysfunktionalitäten, Verschwendung, Konflikte sowie die dadurch entstehenden zum Teil enormen Kosten und sie beschädigt die Effektivität sowie die Akzeptanz im Unternehmen.
Und wenn es schon eigene und unabhängige Funktionen und Bereiche für Nachhaltigkeit gibt und diese zumindest temporär hochrangig angebunden, exzellent ausgestattet und weitreichend befugt werden, ist es dennoch notwendig, sie zur Kooperation und Integration zu verpflichten. Besonders wichtig sind Kooperation und Integration auf Prozessebene, auf Managementsystemebene sowie bei Anforderungsmanagement, Wirkungsmessung und Reporting. Eine gute Integration bietet die Chancen einer effizienten Themenbearbeitung sowie auch der höheren Mitarbeitendenbeteiligung und -akzeptanz.
Die Mehrheit der Befragten der DGQ-Kurzumfrage favorisiert folgerichtig die Zusammenlegung der Funktionen, siehe Abb. 3.

Abb. 3: Trennen oder Zusammenlegen der Qualitätsmanagement- und Nachhaltigkeitsfunktionen
Im Mittelstand sind kombinierte Funktionen leichter anzulegen und können helfen, die zusätzliche erforderliche Ressource möglichst gering zu halten. Das kann aber nur gelingen, wenn Qualitäts-, Nachhaltigkeits- und zudem auch Arbeitssicherheitsmanagement, IT-Sicherheitsmanagement und weitere stark extern regulierte Thematiken besser miteinander kombiniert werden. All diese und weitere Themen sollten über ein System gemanagt werden, das System und seine einzelnen Prozesse, Spezifikationen sollten schlank angelegt und gut synchronisiert werden. Die Anwendbarkeit durch Mitarbeitende im Alltag und nicht Auditierungen und akribische Regelauslegung, die oft in die Überformalisierung führt, sollten dabei im Fokus stehen.
Viele etablierte klassische und nach wie vor sehr dokumentenlastige Managementsysteme leisten das nicht gut. Gerade weil externe Reglementierung eskaliert, muss interne Übersetzung in Prozesse und Spezifikationen so schlank und nutzerfreundlich wie möglich erfolgen. Dazu können immer bessere KI-basierte Assistenzsysteme eingesetzt werden. Statt in mehreren parallel gültigen Dokumenten mühsam die relevanten Vorgaben zu suchen oder sie riskant zu ignorieren, sollten diese Systeme im Workflow genau und nur das anzeigen, was jetzt zu tun und zu lassen ist, um gesetzliche, normative und vertragliche Verpflichtungen und Anforderungen einzuhalten.
Schlanke interne Formalisierung ist eine eigenverantwortliche Antwort auf eskalierende externe Bürokratisierung
Leitungen sollten von ihren bestehenden und neu eingesetzten Qualitäts- und Nachhaltigkeitsmanagerinnen und -manager Nutzerorientierung und einen Regelungsminimalismus einfordern. Wer externes Wachstum an Bürokratie nur beklagen, aber nicht beeinflussen kann, muss im eigenen Verantwortungsbereich gut gemeinte, aber oft übergriffige und in Summe dysfunktionale externe Vorgaben in gut gemachte interne Systeme und Regeln transformieren.
Über den Autor:
Benedikt Sommerhoff leitet bei der DGQ das Themenfeld Qualität & Innovation. Er beobachtet, analysiert und interpretiert die Paradigmenwechsel und Trends in Gesellschaft und Wirtschaft sowie ihre Wirkungen auf das Qualitätsmanagement. Seine zahlreichen Impulse in Form von Publikationen und inspirierenden Vorträgen geben Orientierung in Zeiten des Wandels. Sie ermutigen zur Neukonzeption des Qualitätsmanagements und der Qualitätssicherung. Gemeinsam mit Expertinnen und Experten des DGQ-Netzwerks aus Praxis und Wissenschaft arbeitet Sommerhoff in Think Tanks und Pionierprojekten an der Entwicklung, Pilotierung und Vermittlung innovativer Konzepte und Methoden.