ISO-GPS: Haftungsrechtliche Bedeutung und Normungsstand

Das „ISO-GPS-System“ ist so stark in Bewegung wie nie zuvor. Wer die Normung kennt und die ISO-GPS-Regeln konsequent anwendet, vermeidet Negativfolgen. Gemeint sind beispielsweise Mehrdeutigkeiten durch interpretierbare Spezifikationen und Mehraufwände durch langwierige und konfliktträchtige Abstimmungsprozeduren zwischen Konstruktion, Fertigung und Prüfung beziehungsweise zwischen Auftraggeber und Lieferanten an den unterschiedlichsten Standorten weltweit.
Mehrdeutige Spezifikationen in technischen Zeichnungen bedeuten zudem ein erhöhtes unternehmerisches Haftungsrisiko. Spezifikationen müssen eindeutig und vollständig sein. Sie dürfen im Idealfall keinen Interpretationsspielraum zulassen. Im Streitfall wird in der Regel nach dem Stand von Wissenschaft und Technik und damit nach der aktuellen ISO-GPS-Normung geurteilt. Umfassende Kenntnisse der relevanten Normung sind somit unerlässlich.
Das GPS-System muss in den Unternehmen nicht wirklich eingeführt werden, wie es von so manchem Manager beschrieben wird. Das GPS-Normensystem ist grundsätzlich gültig. Die Spezifikationsmöglichkeiten (Symbole, Modifikatoren, Regeln …) sind anzuwenden, um vollständige und eindeutige Spezifikationen festlegen zu können. Die Umsetzung in die betriebliche Praxis muss systematisch und schrittweise erfolgen und kann je nach Wissensstand einige Jahre dauern.
Zur korrekten Darstellung beispielsweise von Linien, Ansichten, Schnitten, Freistichen, Kanten, Maßen stehen die Normen der technischen Produktdokumentation (TPD) zur Verfügung.
In den kommenden Blogbeiträgen erhalten Sie einen Überblick über ausgewählte Aspekte und Regeln des aktuellen Stands der veröffentlichten und der entstehenden ISO-GPS-Normen.
Haftungsrechtliche Bedeutung der ISO-GPS-Normen im Überblick
Wie schon erwähnt, hat der Umgang zwischen Lieferanten und Kunden mit technischen Zeichnungen und Konstruktionsmodellen (Spezifikationen) und somit mit den Normen und Regeln der Geometrischen Produktspezifikation (GPS) und der technischen Produktdokumentation (TPD) auch haftungsrechtliche Bedeutung:
Technische Spezifikationen (2D-, 3D-Zeichnungen, CAD-Datenmodell, MBD …) und weitere Dokumente (Pflichtenhefte, QSV …) bilden die Basis zur Kommunikation zwischen Kunden (Entwicklung, Konstruktion, Beschaffung …) und Lieferanten (Fertigung, Montage, Vertrieb, Verifikation, QS …).
Sie dienen der eindeutigen und vollständigen Produktbeschreibung.
Die Inhalte legen als rechtsverbindlicher Vertragsbestandteil die Anforderungen an ein Produkt fest. Sie sind intern oder extern, funktionsgerecht, sicher und wirtschaftlich herzustellen.
Sie dienen auch im Rahmen der Produkthaftung zur Klärung des Sachverhaltes. Spezifikationen (Toleranzangaben), die nicht mit den Regeln des ISO GPS-Systems konform sind, können somit im Umkehrschluss zu schwerwiegenden und komplexen Situationen und Fragen im Rahmen der Produkthaftung führen.
Grundsätzlich gilt die Regel: Wenn Spezifikationen mehrdeutig sind (es entstehen mehrere mögliche Auslegungen einer Anforderung), führt jede mögliche Interpretation zur Annahmeverpflichtung für den Abnehmer.
Nach ISO 8015 gilt der Grundsatz der bestimmenden Zeichnung: Anforderungen, die nicht auf der Zeichnung (gesamte Dokumentation zur Spezifikation des Werkstückes; ergänzende Vertragsdokumente) angegeben sind, können vertragsrechtlich nicht geltend gemacht werden.
ISO-GPS: Übersicht einiger ISO-GPS-Normen (Stand 01.01.2024)
Auszug aus den GPS-Normen (www.dinmedia.de) – hier ist der jeweils aktuelle Stand der Normung ersichtlich.
Fundamentale GPS-Normen (GPS-Grundnormen) | Status/Ausgabe |
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DIN EN ISO 14638 – Geometrische Produktspezifikation (GPS) – Matrix-Modell | 2015-12, Ersatz für DIN V 32950:1997 |
DIN EN ISO 8015 – GPS-Konzepte, Prinzipien, Regeln (Tolerierungsgrundsatz) | 2011-09 |
DIN EN ISO 17450-3 – GPS-Grundlagen Teil 3: Tolerierte Geometrieelemente | 2016-12 |
DIN EN ISO 1:2022 – GPS-Standardreferenztemperatur für GPS | 2022-10 |
Allgemeine GPS-Normen | Status/Ausgabe |
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DIN EN ISO 14405-1 – GPS – Dimensionelle Tolerierung – Teil 1: Lineare Größenmaße |
2017-07 |
DIN EN ISO 14405-2 – GPS – Dimensionelle Tolerierung – Teil 2: Andere als lineare oder Winkelgrößenmaße |
2019-06 |
DIN EN ISO 14405-3 – GPS – Dimensionelle Tolerierung – Teil 3: Winkelgrößenmaße |
2017-07 |
DIN EN ISO 286-1/-2 – GPS – ISO-Toleranzsystem für Längenmaße | 2019-09 |
DIN EN ISO 1101 – GPS – Tolerierung von Form, Richtung, Ort und Lauf | 2017-09 |
DIN EN ISO 5459 – GPS – Bezüge und Bezugssysteme (Neuer Entwurf: DIN EN ISO 5459/A1:2022-11) |
2013-05 |
DIN EN ISO 5458 – GPS – Elementgruppen und kombinierte geometrische Spezifikationen | 2018-11 |
DIN EN ISO 1660 – GPS – Profiltolerierung (Linien, Flächen) | 2017-09 |
DIN EN ISO 2692 – GPS – Maximum-Material-Bedingung (MMR), Minimum-Material-Bedingung (LMR), Reziprozitätsbedingung (RPR) | 2022-08 |
DIN EN ISO 10579 – GPS – Bemaßung und Tolerierung – Nicht-formstabile Teile |
2013-11 |
DIN EN ISO 1302 – GPS – Angabe der Oberflächenbeschaffenheit DIN EN ISO 1302 – GPS – Berichtigung 1:2008-08 |
2002-06 zurückgezogen |
DIN EN ISO 21920-1 – GPS – Oberflächenbeschaffenheit: Profile – Teil 1: Angabe der Oberflächenbeschaffenheit |
2022-12 Ersatz für ISO 1302 |
DIN EN ISO 21920-2 – GPS – Oberflächenbeschaffenheit: Profile – Teil 2: Begriffe und Kenngrößen für die Oberflächenbeschaffenheit |
2022-12 Ersatz für ISO 4287, ISO 13565-2, -3 |
DIN EN ISO 21920-3 – GPS – Oberflächenbeschaffenheit: Profile – Teil 3: Spezifikationsoperatoren |
2022-12 Ersatz für ISO 4288 |
DIN EN ISO 25378 – GPS – Merkmale und Bedingungen – Begriffe | 2011-12 |
DIN EN ISO 17450-4 – GPS-Grundlagen – Teil 4: Geometrische Merkmale zum Quantifizieren von GPS-Abweichungen |
2018-05 |
DIN EN ISO 14253-1 – GPS-Prüfung von Werkstücken und Messgeräten – Teil 1: Entscheidungsregeln für den Nachweis von Konformität oder Nichtkonformität mit Spezifikationen | 2018-07 |
DIN EN ISO 22081 – GPS – Allgemeine geometrische und Maßspezifikationen | 2022-10 Ersatz für ISO 2768-2 |
Ergänzende GPS-Normen | Status/Ausgabe |
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DIN EN ISO 8062-1 – GPS – Maß- Form- und Lagetoleranzen für Formteile Teil 1: Begriffe |
2008-01 |
DIN EN ISO 8062-3 – GPS – Teil 3: Allgemeine Maß-, Form- und Lagetoleranzen und Bearbeitungszugaben für Gussstücke | 2023-05 |
DIN CEN ISO/TS 8062-2 – GPS– Maß- Form- und Lagetoleranzen für Formteile – Teil 2: Regeln |
2014-03 |
ISO 8062-4 – GPS – Teil 4: Allgemeintoleranzen für Gussteile durch Profiltolerierung in einem allgemeinen Bezugssystem | 2023-05 |
ISO 199 – GPS – Toleranzen für Wälzlager und Axiallager | 2023-08 |
DIN ISO 2768-1 – Allgemeintoleranzen1 (Spanen, Umformen) – Toleranzen für Längen- und Winkelmaße |
1991 |
DIN ISO 2768-2 – Allgemeintoleranzen1) (Spanen, Umformen) – Toleranzen für Form und Lage |
1991 zurückgezogen |
DIN 2769 – GPS – Allgemeintoleranzen – für Längen- und Winkelgrößenmaße ohne individuelle Toleranzangabe (Ergänzung zur DIN EN ISO 22081) | 2023-04 |
1) Diese Normen für Allgemeintoleranzen waren in der zurückgezogenen Vornorm DIN V 32950 in der
Übersicht der ergänzenden GPS-Normen gelistet.
Allgemeintoleranzen, die nicht zu den GPS-Normen gehören | Status/Ausgabe |
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DIN EN ISO 13920 – Allgemeintoleranzen für Schweißkonstruktionen | 2023-08 |
DIN 6930-02 – Allgemeintoleranzen für Stanzteile aus Stahl | 2011-10 |
DIN ISO 20457 – Toleranzen und Abnahmebedingungen für Kunststoff-Formteile | 2021-06 |
DIN 30630 – Technische Zeichnungen Allgemeintoleranzen in mechanischer Technik – Toleranzregel und Übersicht |
2008-03 |
DIN-Norm Hüllbedingung ohne Zeichnungseintrag | Status/Ausgabe |
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DIN 7167:1987 Zusammenhang zwischen Maß-, Form- und Parallelitätstoleranzen | 2011-12 zurückgezogen |
Der Autor Manfred Weidemann ist DGQ-Trainer und Geschäftsführer von Quality Office. Quality Office betreut seit über 25 Jahren kleine und mittelständische Unternehmen in den Bereichen Qualitätsmanagement, Prozessoptimierung, Zeichnungsprüfung und Längenprüftechnik/Fertigungsmesstechnik.