Blockchain und Nachhaltigkeit – Von der Vision zur belastbaren Datenbasis

Es gibt viele Gründe, warum Blockchain jetzt auf die Nachhaltigkeitsagenda von Unternehmen gehört: Dort, wo Nachvollziehbarkeit, Integrität und Automatisierung von Nachhaltigkeitsdaten zählen, wird sie zum strategischen Werkzeug. Regulatorische Anforderungen wie CSRD/ESRS, CSDDD/LkSG oder EUDR zwingen Unternehmen zu prüffesten, zeitnahen und möglichst automatisierten Nachweisen entlang der Wertschöpfungskette. Klassische Mittel wie Excel, manuelle Freigaben oder verteilte, heterogene IT-Systeme stoßen hier an Grenzen. Medienbrüche, Versionsprobleme und eingeschränkte Auditfähigkeit gefährden Glaubwürdigkeit und Effizienz der Prozesse. Blockchain adressiert genau diese Schwachstellen. Sie liefert eine unveränderbare, verteilte und transparente Datenbasis, auf der Nachhaltigkeitsinformationen fälschungssicher dokumentiert, geteilt und geprüft werden können.
Was die Blockchain-Technologie leisten kann
Die Technologie zeichnet sich durch folgende Kernprinzipien aus:
- Unveränderlichkeit
Einmal gespeicherte Daten lassen sich nicht stillschweigend manipulieren. Das ist ideal für Nachweise zu Herkunft, Emissionen oder Zertifikaten. - Dezentralität
Daten liegen gleichzeitig auf vielen „Knoten“. Das erhöht Ausfallsicherheit und senkt Manipulationsrisiken. - Transparenz & Nachvollziehbarkeit
Eine sogenannte Hash-Verkettung macht jeden Schritt historisch prüfbar: Hash-Ketten bezeichnen die kryptografische Verkettung von Datenblöcken, bei der jeder Block den Hashwert des vorherigen enthält und so die Integrität und Unveränderlichkeit der gesamten Datenkette sicherstellt. Ownership und Übergaben sind damit lückenlos dokumentiert. - Technologiegestütztes Vertrauen
„Trust by Design“ ersetzt Teile des institutionellen Vertrauens. Das ist bei global verteilten Lieferketten besonders wichtig.
Einfach gesagt, Blockchain konserviert Wahrheit – allerdings auch Irrtum. Ohne eine Sicherstellung von belastbaren Eingabedaten (Audits, Sensorik, Mehr-Augen-Prinzip, Standards) zum Eintrittspunkt wird auch schlechte Qualität unveränderbar. Data-Quality-by-Default ist daher Pflicht.
Wo Blockchain im Nachhaltigkeitskontext punktet
Im Rahmen einer Arbeitsgruppe im Fachkreis Nachhaltigkeit der DGQ haben sich mehrere Wissenschaftler:innen und Praktiker:innen zu diesem neuen, komplexen und spannenden Thema ausgetauscht. Das Ergebnis ist in einer interaktiven Datei auf DGQplus mit fachlichen wie auch praktischen Impulsen abgebildet.

Abb. 1: Blockchain im “Alltag” (©DGQ-Fachkreis Nachhaltigkeit)
Im Rahmen der Fachkreisarbeit wurden insbesondere die Bereiche der Lieferketten-Transparenz und Herkunftsnachweise, CO₂-Bilanz und Emissionsdaten, Kreislaufwirtschaft und Produktpässe, Soziale Nachhaltigkeit und Due Diligence sowie Zertifizierung und Reporting als solche mit Potenzial der Blockchain-Anwendung identifiziert und näher betrachtet: So können etwa vom Kobalt aus zertifizierten Minen über Bio-Baumwolle bis FSC-Holz Übergabepunkte, Verarbeitungsschritte und Mengen fälschungssicher erfasst werden. Das reduziert Greenwashing-Risiken und ermöglicht Transparenz, zum Beispiel via QR-Code direkt am Produkt.
Auf das „Internet of Things“ gestützte Messwerte (etwa im Hinblick auf Scope 1–3 bei der Nachhaltigkeitsberichterstattung) können in Echtzeit „on-chain“ protokolliert, pro Produktcharge aggregiert und für Berichte ausgewertet werden. Im CO₂-Zertifikatehandel können Transaktionen als sogenannte Token, also digitale Abbilder von Werten oder Rechten auf der Blockchain, automatisch über Smart Contracts abgewickelt werden. Digitale Zwillinge bilden Materialzusammensetzung, Reparaturen und End-of-Life-Pfade ab. Token-basierte Anreizsysteme können die Rückgabe von Produkten, Komponenten oder Materialien fördern. So werden Re-Use und Recycling für Unternehmen messbar und wirtschaftlich attraktiver. On-chain Audit-Trails, digitale Identitäten und Schulungsnachweise können die Nachweisqualität in Arbeits- und Menschenrechtsfragen erhöhen. Das hilft, Human-Rights-Due-Diligence nachvollziehbar zu machen.
Und schließlich: Digitale Zertifikate (Bio, Fair Trade etc.) können manipulationssicher hinterlegt werden, Nachhaltigkeitsinformationen teilbar und für Prüfer:innen verifizierbar gemacht werden. Das könnte ein Hebel für zukünftige VSME- und CSRD-konforme Berichte sein.
Rückverfolgbarkeit als gemeinsames Fundament
Konkret verbindet Blockchain Qualitätsmanagement und Nachhaltigkeit, indem Rückverfolgbarkeit zum Fundament für Qualitäts- wie Nachhaltigkeitsnachweise wird. Sogenannte Smart Contracts automatisieren Prüfschritte, Freigaben und Reklamationsprozesse. Der kontinuierliche Verbesserungsprozess findet auf Basis valider Echtzeitdaten anstelle rückwirkender Rekonstruktion statt. Gleichzeitig gilt es, digitale Altlasten zu entsorgen. Denn wer auf manuelle Listen und Insellösungen setzt, verhindert skalierbare Nachweise und somit auch den Nutzen von Blockchain.
Die nachfolgende Tabelle zeigt den Nutzen in verschiedenen Branchen:
| Branche | Anwendung |
|---|---|
| Automotive | Teileauthentizität, Fahrzeughistorien, CO₂-Bilanz entlang Stahl/Aluminium, Smart-Charging, P2P-Energiehandel |
| Maschinenbau, Prozessindustrie | Sensorprotokolle, On-chain-Parameter (Druck/Temperatur), Emissions-Monitoring mit Grenzwert-Automatik |
| Elektronik | Echtheitszertifikate, End-of-Life-Rückverfolgung für Wertstoffe |
| Textil/Lebensmittel | Herkunft, faire Arbeit, Lot-Tracking, Rückrufmanagement, Abfallreduktion |
| Pharma/Medizin | Chargen-/Wirkstoffkontrollen, Fälschungsschutz |
Herausforderungen der neuen Technologie
Kritik an der Blockchain-Technologie zielt häufig auf den hohen Energiebedarf. Dieser wird verursacht durch das sogenannte Proof-of-Work (PoW)-Verfahren: Ein Verfahren, bei dem viele Computer schwierige Rechenaufgaben lösen müssen, um Transaktionen zu bestätigen. Das ist sehr sicher, jedoch extrem energieintensiv. Moderne Unternehmens- und Branchenlösungen setzen daher auf energieeffizientere Konsensverfahren wie „Proof-of-Stake“ – ein Verfahren, bei dem zur Transaktionsbestätigung sogenannte Coins eingesetzt werden, also eigene Kryptowährungen einer Blockchain. Dieses ist effizienter, weil kein aufwendiges Rechnen nötig ist. Alternativ wird auch das „Proof-of-Authority“-Verfahren genutzt, bei dem nur ausgewählte, geprüfte Teil-nehmende Transaktionen bestätigen dürfen. Das ist ebenfalls schnell und gleichzeitig energiearm.
Gleichzeitig entsteht durch die Blockchain-Technologie konkreter Mehrwert im Energiesektor. Herkunftsnachweise und Stromhandel ermöglichen die fälschungssichere Dokumentation sowie die direkte Vermarktung erneuerbarer Erzeugung. Zu weiteren Hürden gehören auch uneinheitliche Standards und Rechtsrahmen (einschließlich der teils fehlenden Anerkennung von Smart Contracts), praktische Implementationshemmnisse wie Anfangsinvestitionen, erforderliche IT-Reife und die Anbindung an Altsysteme sowie Wissenslücken und Akzeptanzprobleme, weil Blockchain noch oft mit Bitcoin gleichgesetzt wird. Die Konsequenz ist klar: Ohne belastbare Governance, stringentes Change-Management und eine saubere Zielarchitektur bleibt der Nutzen von Blockchain diffus.
Vorgehen bei Implementierung von Blockchain
Für die Umsetzung in der Praxis ist es wichtig, dass es einen passenden Projekt-Case im Unternehmen gibt. Dieser ist daran zu erkennen, dass eine hohe Beleglast vorliegt, mit vielen Übergaben, Zertifikaten und Prüfungen, sodass Datenfehler spürbaren Schaden verursachen würden. Ihre Stärken entfaltet die Blockchain-Technologie insbesondere in verteilten Ökosystemen mit vielen Akteuren und Regionen, in denen technologiebasiertes Vertrauen skaliert. Maßgeblich ist zudem ein klarer Business-Impact durch die Nutzung der Blockchain-Technologie – messbar an geringerem Audit- und Reportingaufwand, reduzierten Rückrufkosten, höheren Rückgabequoten und einem schnelleren Time-to-Market. Auf Umsetzungsebene zählen eine energieeffiziente Architektur ohne Proof-of-Work im Enterprise-Kontext und eine nachvollziehbare Nachhaltigkeitsbilanz des IT-Stacks sowie eine interoperable Plattformstrategie, die die Anschlussfähigkeit an bestehende Brancheninitiativen und Standards sicherstellt. Abbildung 2 zeigt vereinfacht die fünf Schritte, wie bei der Umsetzung vorgegangen werden kann.

Abb. 2: Vorgehen bei Implementierung von Blockchain (©DGQ-Fachkreis Nachhaltigkeit)
Fazit
Blockchain wird zum Gamechanger, wenn sie gezielt dort eingesetzt wird, wo Integrität der Daten und Automatisierung den größten Unterschied machen, zum Beispiel in Lieferketten, bei CO₂-Bilanz, in der Kreislaufwirtschaft oder bei Zertifizierungen. Die Technologie ist jedoch kein Selbstzweck. Ihr Wert entsteht in der Verbindung aus Datenqualität, Standards, Governance und Interoperabilität. Am besten starten Unternehmen mit einem fokussierten Pilotprojekt, sichern die Datenqualität ab, automatisieren sie mit Smart Contracts und skalieren sie entlang klarer Kennzahlen. So wird aus „Hype“ prüffähige Realität und aus Nachhaltigkeits- sowie Qualitätspflichten ein Wettbewerbsvorteil.
Prof. Dr. Linda Chalupová ist Nachhaltigkeitsexpertin, Autorin und zertifizierte Aufsichtsrätin mit den Kernkompetenzen zum nachhaltigen Wirtschaften und Innovationen. Mit Ihrer Professur für Umwelt- und Nachhaltigkeitswissenschaften an der Hoch-schule Fulda strebt sie an, die Wissenschaft und Praxis voneinander profitieren zu lassen und so möglichst zügig effektive Lösungen für eine nachhaltige Entwicklung bereitzustellen. Sie engagiert sich in mehreren Arbeitsgremien, Beirats- und Vorstän-den sowie bei der DIN und ISO. Darüber hinaus ist sie Mitglied der Leitung des DGQ-Fachkreises Nachhaltigkeit. Luise Fuchs hat Oecotrophologie an der Hochschule Fulda studiert. In Ihrer Abschlussarbeit hat sie sich mit der Blockchain-Technologie und ihrem Einsatz in der Ernährungsindustrie beschäftigt. Dr.-Ing. Markus Kröll verantwortet den Geschäftsbereich „Nachhaltige Industrie“ am Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA, nachdem er zu-vor bereits mehrere Jahre erfolgreich die Abteilung »Nachhaltige Produktion und Qualität« geführt hat. Gleichzeitig leitet er auch das S-TEC Zentrum für Ultraeffizienz (ZUE). Davor war er über 20 Jahre in der Automobilindustrie in verschiedenen verantwortlichen Leitungsfunktionen sowohl bei OEM als auch als Engineering Leiter bei einem Anlagenhersteller im Mittelstand tätig. Er bringt seine langjährige Praxiserfahrung und insbesondere Digitalisierungsexpertise in die Nachhaltigkeitsthemen im Produktionsumfeld ein und entwickelt mit seinem Team zielgerichtete, praxistaugliche Lösungen aller Nachhaltigkeitsfacetten für die Industrie. Dr. Bernhard Krömer, INGENIEURBÜRO DR. KRÖMER Mit über 30 Jahren Berufserfahrung, davon 25 Jahre in Führungspositionen der Industrie und fünf Jahre als Berater, sowie einer Promotion im Bereich integrierter Managementsysteme und zahl-reichen Zertifizierungen verfügt Dr. Krömer über umfassende Kenntnisse der Anforderungen von KMU und Konzernen. Er verfolgt einen ganzheitlichen, theoretisch fundierten und praxiserprobten Beratungsansatz. Seine Beratung deckt wesentliche Themenfelder wie Strategie- und Organisationsentwicklung, integrierte Managementsysteme und Qualitätsmanagement, Prozessoptimierung, KI-Management, IT-Sicherheit und Datenschutz sowie Umwelt- und Arbeitsschutz, Nachhaltigkeit und CSR ab und bietet praxisbewährte Lösungen aus einer Hand mit klarer Verantwortlichkeit. Prof. Dr.-Ing. Irina Mazilu-Eyaz ist Qualitäts- und Nachhaltigkeitsexpertin mit den Kernkompetenzen im industriellen Qualitätsmanagement und der interdisziplinären Verbindung von Technik und Nachhaltigkeit mit dem Schwerpunkt Circular Economy. In ihrer Professur für Qualitätswesen an der Hochschule Pforzheim bringt sie ihre langjährige Praxiserfahrung aus der Industrie in die Lehre ein. Zuvor war sie über elf Jahre in unterschiedlichen Funktionen im Qualitätsmanagement bei der Robert Bosch GmbH tätig. Sie engagiert sich als Vorstandsmitglied der Forschungsvereinigung Qualität e. V. (FQS) sowie in der Deutschen Gesellschaft für Qualität (DGQ), wo sie bis 2025 Teil des Leitungsgremiums des Fachkreises Nachhaltigkeit war.
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