Biodiversitätsmanagement im unternehmerischen Kontext: Tipps für die Praxis

Biodiversität ist essenziell für das Leben auf unserem Planeten. Wissenschaftler warnen: Mit schlechtem Klima lässt sich überleben, ohne Biodiversität nicht. Das Erreichen planetarer Belastbarkeitsgrenzen ist ein alarmierendes Signal für Unternehmen, ihren Fokus auf dieses Thema zu legen. Sie sollten daher Biodiversitätsmanagement in ihr Nachhaltigkeitsmanagement integrieren.
Aktuelle Situation
Biodiversität umfasst die Vielfalt des Lebens auf der Erde, einschließlich der Gene, Arten und Ökosysteme, die für die Stabilität und Produktivität unserer natürlichen und wirtschaftlichen Systeme unverzichtbar ist. 50 Prozent aller Emissionen werden von der Natur absorbiert. Ohne diese Absorption würden sich die Emissionen in der Atmosphäre drastisch erhöhen, was zu schwerwiegenden Klimaveränderungen führen würde. 75 Prozent der weltweiten Nahrungsmittelproduktion hängt von Bestäubern wie Bienen ab. Ihr Verlust kann die Erträge verringern und die Kosten für Bestäubungsdienste in die Höhe treiben. Die „Hochzeitstorte“ (Abbildung 1) verdeutlicht die Beziehung zwischen den UN-Zielen für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) und der hohen Bedeutung der Natur und Biodiversität.
Mehr als die Hälfte des globalen Bruttoinlandsprodukts, rund 44 Billionen US-Dollar, hängt von einer intakten Natur ab (WWF, 2023). Laut dem World Economic Forum (WEF) zählen der Verlust der Artenvielfalt und der Zusammenbruch ganzer Ökosysteme zu den größten Risiken für die Weltwirtschaft (WEF, 2023). Der Verlust der Biodiversität führt schon jetzt jährlich zu wirtschaftlichen Einbußen von über 30 Billionen US-Dollar (NABU, BCG 2020), besonders in den Sektoren Pharmazie, Landwirtschaft, Fischerei und Tourismus. Veränderungen in natürlichen Systemen verursachen Ressourcenknappheit und erhöhen die Produktionskosten in wasserintensiven Branchen wie Landwirtschaft, Textil- und Getränkeindustrie. Die Degradierung von Ökosystemen und klimatische Veränderungen können Lieferketten destabilisieren, Versorgungsengpässe und Preisschwankungen hervorrufen. Angesichts der Biodiversitätskrise und der anderen Multikrisen ist dies keine erfreuliche Nachricht für Unternehmen. Der Global Risk Report 2024 zeigt, dass der Biodiversitätsverlust in einem Zehnjahreshorizont als drittgrößtes Risiko für Unternehmen wahrgenommen wird

Abb. 1: Beziehung der Ziele für nachhaltige Entwicklung – Biosphäre ist die Basis
(Quelle: Die Animation wurde von Azote für das Stockholm Resilience Centre erstellt; Lizenz: CC BY ND 3.0)
Biodiversität managen
Unternehmen nutzen die Leistungen der Natur und können Biodiversität durch verschiedene Maßnahmen managen, um negative Umweltauswirkungen zu minimieren und positive Beiträge zu leisten. Wichtige Strategien eines Biodiversitätsmanagements umfassen:
- Integration von biodiversitätsbezogenen Themen in Umweltmanagementsysteme, wobei EMAS als besonders geeignet scheint, da es die biologische Vielfalt als Schlüsselbereich ausweist und konkrete Indikatoren und Maßnahmen fordert.
- Systematische Erfassung und Bewertung der Auswirkungen des Unternehmens sowie seiner Lieferketten auf die lokale Flora und Fauna, einschließlich der Berechnung des eigenen Biodiversitätsfußabdrucks.
- SMARTE Ziele und Maßnahmen für den Biodiversitätsschutz setzen, zum Beispiel Schaffung naturnaher Flächen, Förderung einheimischer Pflanzenarten und Reduktion von Pestiziden.
- Schulungen und Sensibilisierungsprogramm für Beschäftigte und Anspruchsgruppen in der Wertschöpfungskette zur Schärfung des Bewusstseins für die Bedeutung der Biodiversität und zur Förderung umweltfreundlicher Praktiken.
- Regelmäßige Überwachung und Berichterstattung im Rahmen der neuen Nachhaltigkeitsberichtsstandards, speziell ESRS E4 – Biodiversity and ecosystems , um Fortschritte im Biodiversitätsschutz zu messen und transparent darzustellen.
Berufsbild Klimaschutzmanager Kommunen und Unternehmen werden sich zunehmend ihrer Verantwortung für und den Herausforderungen durch den Klimawandel bewusst. Sie suchen daher immer häufiger nach Fachexperten, die sie bei der Umsetzung von Klimaschutzstrategien unterstützen können. Durch ihre Tätigkeit tragen Klimaschutzmanager dazu bei, Treibhausgasemissionen der Unternehmen und Kommunen zu reduzieren. Antworten auf die wichtigsten Fragen finden Sie in unserem Berufsbild zum Klimaschutzmanager:
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Konkret können Unternehmen …
Unternehmen können nachhaltige Beschaffungspraktiken einführen, um sicherzustellen, dass Rohstoffe und Produkte aus umweltfreundlichen Quellen stammen. Durch die Förderung der Biodiversität auf Firmengeländen (PDF), etwa durch naturnahe Flächen und den Verzicht auf Pestizide, tragen sie zum Erhalt der Artenvielfalt bei. Maßnahmen wie insektenfreundliche LED-Lampen und der Verzicht auf Versiegelung von Parkflächen sind ebenfalls sinnvoll. Unternehmen können in ihrer Lieferkette Risikobewertungen vornehmen, um Produkte mit hohem Risiko für den Verlust der Biodiversität, wie Holzprodukte, zu identifizieren. Die Umstellung auf nachhaltige Beschaffungspolitiken kann den Einsatz umweltschädlicher Produkte reduzieren, indem zertifizierte Produkte wie MSC-Fisch oder FSC/PEFC-Holzerzeugnisse bevorzugt werden.
Es ist wichtig, das Wirkungsnetz zu berücksichtigen, da Klimaschutzmaßnahmen manchmal in Konkurrenz zu anderen Nachhaltigkeitszielen stehen, etwa wenn erneuerbare Energieprojekte Lebensräume beeinträchtigen. Ein integrierter Ansatz, der alle Umweltauswirkungen einbezieht, ist unerlässlich, um langfristig nachhaltige Lösungen zu gewährleisten. Die Zusammenarbeit mit Interessengruppen wie NGOs, lokalen Gemeinschaften und wissenschaftlichen Einrichtungen kann Unternehmen dabei unterstützen, effektive Biodiversitätsstrategien zu entwickeln und umzusetzen. Unternehmen können Programme zur Biodiversitätskompensation unterstützen, um negative Auswirkungen ihrer Aktivitäten auszugleichen. Dabei gilt der Hierarchie-Grundsatz: Vermeiden, Reduzieren und dann erst Kompensieren, idealerweise lokal, um die gleichen Ökosysteme und Arten zu unterstützen.
Beitrag von Kreislaufwirtschaft zur Biodiversität
Die Entwicklung nachhaltiger Produkte und Dienstleistungen, die den gesamten Lebenszyklus berücksichtigen, ist wichtig für den Erhalt der Biodiversität. Die Kreislaufwirtschaft zielt darauf ab, die Lebensdauer von Produkten zu maximieren, die Wiederverwendung von Materialien zu fördern und den Abfall zu minimieren. Obwohl diese Prinzipien auf Ressourcenschonung abzielen, sind die Effekte des zirkulären Wirtschaftens auf die Biodiversität noch nicht vollständig untersucht. Offensichtlich ist jedoch der Zusammenhang des linearen Wirtschaftsmodells mit dem Verlust an Ökosystemen durch Landveränderung oder Deponien. Es lohnt sich, die Kreislaufwirtschaft als positiven Effektgeber zum Erhalt der Biodiversität zu betrachten. Eine Meta-Studie aus dem Jahr 2023 aus Finnland bewertete im Bau- und Immobiliengewerbe sowie der Waldwirtschaft verschiedene Circular-Economy-Maßnahmen. Die Ergebnisse zeigen, dass die kaskadierende Nutzung von Holz, die Verbesserung der Materialeffizienz, die Wiederverwendung von Baumaterialien und die Verlängerung der Lebensdauer von Gebäuden großes Potenzial haben, den Druck auf die Biodiversität zu mindern. Allerdings könnten Maßnahmen, die die Nutzung heimischer Wälder erhöhen, die Biodiversität beeinträchtigen, wenn keine biodiversitätsfördernden Waldmanagementpraktiken genutzt werden und die Abholzung zu hoch bleibt.
Es reicht also nicht aus, auf vermeintlich erneuerbare und kompostierbare Rohstoffe zu setzen, wenn dadurch Lebensraum vernichtet wird. Es muss bei jedem Produkt abgewogen werden, welche Circular-Economy-Maßnahme die Biodiversität schützt. Ökobilanzen können unterstützen, indem sie eine ganzheitliche Perspektive bieten.
Drei Stellhebel der Kreislaufwirtschaft wirken positiv auf die Biodiversität: nachhaltiger Materialeinsatz, nachhaltige Geschäftsmodelle und nachhaltiger Mindset.
- Nachhaltiger Materialeinsatz:
Die Reduzierung der Ressourcenextraktion und die daraus resultierende Verringerung von Lebensraumzerstörung schützt natürliche Lebensräume und Arten. - Nachhaltige Geschäftsmodelle:
Durch die Reduzierung von Abfällen und das Schließen von Stoffkreisen wird die Umweltverschmutzung verringert. Sharing- und Streaming-Konzepte reduzieren CO2-Emissionen und schädliche Umwelteinflüsse wie Dürren, die die Biodiversität beeinträchtigen. - Nachhaltiger Mindset:
Die Circular Economy fördert ein Bewusstsein bei Konsumenten, die durch ihr Kaufverhalten die Umwelt schützen können. Dies stärkt regionale Ökonomien und führt zu einer höheren Akzeptanz für nachhaltige Produkte zu angemessenen Preisen – vorausgesetzt, diese werden nachhaltig und biodiversitätsfreundlich produziert.
Vernetzung
Der DGQ-Fachkreis Nachhaltigkeit vernetzt Interessierte und deren Kompetenzen durch verschiedene Aktivitäten. Arbeitsgruppen bearbeiten Themen wie Nachhaltigkeitskennzahlen, CO2-Fußabdruck, Nachhaltigkeitskompetenzen und Blockchain-Chancen. Eine Arbeitsgruppe zum Thema “Biodiversität in Unternehmen” ist ebenfalls denkbar. Interessierte können sich bei den Autorinnen des Blogbeitrags unter com@dgq.de melden.
Über die Autoren:
Prof. Dr. Linda Chalupová ist eine Nachhaltigkeitsexpertin, Autorin, Keynote-Speakerin und zertifizierte Aufsichtsrätin mit Kernkompetenzen im nachhaltigen Wirtschaften. Als Professorin für Nachhaltigkeitswissenschaften an der Hochschule Fulda strebt sie einen profitablen Transfer zwischen Wissenschaft und Praxis an, um schnellstmöglich effektive Lösungen für eine nachhaltige Entwicklung bereitzustellen. Sie engagiert sich als Vorständin und Beirätin in mehreren Berufsverbänden, Gremien und Arbeitskreisen und ist Unternehmensmentorin in den Bereichen ESG und Berichterstattung. Zu-dem ist sie Mitglied im Leitungsteam des DGQ-Fachkreises Nachhaltigkeit.
Prof. Dr. Irina Mazilu-Eyaz hat Materialwissenschaft an der Technischen Universität Darmstadt und am Imperial College London studiert. Während Ihrer 11-jährigen Berufstätigkeit bei einem internationalen Technologiekonzern sammelte sie Erfahrung im Qualitätsmanagement und wurde zur Methoden-Expertin für technische Problemlösung. Seit 2021 ist sie Professorin für Qualitätsmanagement und Werkstoffkunde an der Hochschule RheinMain und entwickelt auch neue Lehrveranstaltungen zum Thema Nachhaltigkeit. Im Mai 2023 wurde sie ins Leitungsteam des DGQ-Fachkreises Nachhaltigkeit gewählt.
Mit der nachfolgenden Linksammlung erhalten Interessierte kostenlosen Zugriff auf hilfreiche Informationen zum Thema Biodiversität: Risikofilter der Biodiversität (WWF) Biodiversität über den Tellerrand (Forschungsprojekt) Vielfalt am Standort – Schritte zu nachhaltigem Biodiversitätsmanagement (Bayerisches Landesamt für Umwelt) Leitfaden 2023 – Schutz der biologischen Vielfalt im Rahmen von Umweltmanagementsystemen (EMAS) Wege zum naturnahen Firmengelände (Bundesamt für Naturschutz)