Vertrauen stärken und Innovation ermöglichen: Eine digitale Qualitätsinfrastruktur für ein modernes Made-in-Germany
Produktion und Handel in immer komplexeren Wertschöpfungsnetzwerken, die fortschreitende digitale und grüne Transformation sowie technologische Innovationen sind in hohem Maße auf die verlässliche Sicherung und den effizienten Nachweis der Qualität, Sicherheit und Nachhaltigkeit von Waren, Dienstleistungen und Prozessen angewiesen. Unverzichtbar dafür ist eine moderne und leistungsfähige Qualitätsinfrastruktur (QI).
QI-Digital: Qualität smarter sichern
Im Rahmen der Initiative QI-Digital entwickeln die zentralen Akteure der Qualitätsinfrastruktur (QI) in Deutschland – die Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM), die Deutsche Akkreditierungsstelle (DAkkS), das Deutsche Institut für Normung (DIN), die Deutsche Kommission Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik (DKE) und die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) – gemeinsam mit Stakeholdern aus Wirtschaft und Forschung Lösungen für eine moderne Qualitätssicherung. Diese muss nicht nur den Anforderungen einer Wirtschaft gerecht werden, die zunehmend digital und vernetzt ist, sondern zudem nachhaltig und resilient sein.
Das Ziel: Qualität vertrauensvoll und effizient sichern und nachweisen. Gefördert wird die Initiative vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK). Ein engagierter Beirat mit Mitgliedern aus Wirtschaft, Forschung und Verwaltung unterstützt bei der strategischen Ausrichtung, konkreten Umsetzung und der Vernetzung.
Von einer Dokumenten- hin zu einer Datenbasierten Qualitätssicherung
Durch das Zusammenspiel von Metrologie, Normung, Konformitätsbewertung, Akkreditierung und Marktüberwachung bildet die QI die Grundlage für funktionierenden internationalen Handel und das Qualitäts-Label “Made in Germany“. Die QI selbst ist ein komplexes System aus regulativen Rahmenbedingungen und verschiedenen Institutionen, Werkzeugen und Prozessen – ihre digitale Transformation ein entsprechend umfangreiches Vorhaben.
Das Zielbild einer digitalen QI umfasst dabei datenbasierte und automatisierte Verfahren für Qualitätssicherung und -nachweis sowie einen Werkzeugkasten unter anderem aus Smart Standards und maschinenlesbaren Konformitätsnachweisen mit digitalem Akkreditierungssymbol (eAttestation). Diese bilden zusammen ein digitales Ökosystem für die QI, das es Unternehmen und anderen privatwirtschaftlichen und hoheitlichen Akteuren in Wertschöpfungsnetzwerken ermöglicht, vertrauensvoll, souverän und effizient qualitätsrelevante Daten, Informationen und Dokumentationen bereitzustellen, zu nutzen und auszutauschen. Die bisher weitgehend dokumentenbasierte, analoge und statische Qualitätssicherung wird damit fundamental transformiert hin zu einem datenbasierten, smarten System, das auf nutzungsorientierten, vorausschauenden Ansätzen fußt, die den modernen Anforderungen der Industrie 4.0 gerecht werden und effizient für nachhaltiges Vertrauen und Transparenz sorgen.
Bürokratieaufwand reduzieren
Die Anforderungen an die Umsetzung regulatorischer Vorgaben steigen für Unternehmen stetig an. Die schon bald geforderte Implementierung des Digitalen Produktpasses in der EU im Rahmen der neuen Verordnung für nachhaltige Produkte (ESPR) ist nur ein Beispiel dafür. Digitale Innovationen in der QI sind hierbei ein Schlüssel, um diese bürokratischen Herausforderungen zu bewältigen, wie Dr. Gunter Kegel, Präsident des Verbands der Elektro- und Digitalindustrie ZVEI e.V., bei einem Austausch der Initiative QI-Digital mit Bundestagsabgeordneten zu Beginn des Jahres hervorhob. Voraussetzung ist es, von der analogen, dokumentenbasierten Qualitätssicherung hin zu einer datenbasierten Arbeitsweise zu kommen. Mithilfe digitaler Prozesse und Werkzeuge der QI lasse sich der personelle und administrative Aufwand für die Unternehmen wesentlich reduzieren und die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen und europäischen Wirtschaft auch künftig sichern. Dies gilt nicht zuletzt vor dem Hintergrund des absehbar zunehmenden Fachkräftemangels.
Datenräume für die QI: Quality-X
Die Initiative QI-Digital entwickelt die nötigen digitalen Werkzeuge und Verfahren. Das wahre Potenzial der digitalen QI entfaltet sich erst, wenn ihre Akteure und Prozesse systemübergreifend und nahtlos in ein kohärentes digitales QI-Ökosystem integriert werden. Die jüngsten Entwicklungen hin zu industriellen internationalen Datenräumen ermöglichen ein solches Ökosystem.
Kernstück des angestrebten digitalen QI-Ökosystems ist Quality-X, eine föderierte Plattform zur Vernetzung von Institutionen und einfachen, sicheren Austausch qualitätsbezogener Daten und Informationen auf Basis internationaler Datenräume mit standardisierten Schnittstellen. Quality-X soll es Unternehmen erleichtern, Qualitätsnachweise zu erbringen und gleichzeitig Souveränität sichern, u.a. mit definierten Zugriffsberechtigungen. Basierend auf den Gaia-X-Grundsätzen, die Transparenz, Offenheit, Datenschutz und Sicherheit betonen, orientiert sich das Projekt an den technischen und rechtlichen Rahmenbedingungen bekannter Gaia-X-Leuchtturmprojekte wie Catena-X und Manufacturing-X. In einem Whitepaper hat die Initiative QI-Digital Konzept und Idee von Quality-X zusammengefasst.
Umsetzung anhand greifbarer, praxisrelevanter Pilotprojekte
Aufgrund der Komplexität der Prozesse, Verfahren und Werkzeuge der QI, werden die Lösungen entlang konkreter, praxisrelevanter Anwendungen der Qualitätssicherung in der modernen Produktion (Industrie 4.0) und dem Betrieb technischer Anlagen entwickelt, erprobt und demonstriert. Dazu dienen der Initiative praxisnahe Testumgebungen, die die Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM) im Rahmen der beiden Pilotprojekte „Additive Fertigung“ und „Verlässliche Wasserstofftankstelle“ bereitstellt. Neben Forschung und Entwicklung an modernen Prüfmethoden werden dort die digitalen Werkzeuge der QI erprobt und ihr Zusammenwirken demonstriert. So können integrierte Prozessketten dargestellt werden – vom Einlesen digital über Smart Standards bereitgestellter Normen-Anforderungen (siehe Initiative IDiS von DIN und DKE) über die prozessbegleitende Konformitätsbewertung mittels moderner (Prüf-)Verfahren hin zum automatisierten Erstellen von maschinenlesbaren Prüfberichten und anderer Konformitätsnachweise, eingebettet in das datenraumbasierte System Quality-X.
Dabei zeigt sich deutlich die zunehmende Bedeutung Künstlicher Intelligenz (KI) auch für die QI: Ganz neue Datenverfügbarkeit durch Sensortechnologien, thermographische Bildaufnahmen und andere moderne Ansätze eröffnet bisher ungekannte Möglichkeiten für die Qualitätssicherung. Entsprechende digitale, datenbasierte Prüfverfahren unter Nutzung von KI werden an der BAM entwickelt. Zudem wird das Potenzial des Federated Learning via Data Spaces erkundet. Umgekehrt ist auch die Frage der Vertrauenswürdigkeit von KI-Anwendungen ein zentrales Thema in QI-Digital. Damit der Einsatz qualitätsgesichert und vertrauensvoll erfolgen kann, werden bspw. an der PTB für den Gesundheitsbereich die Grundlagen messbarer Qualitätskriterien und Verfahren entwickelt.
Begleitforschungsaktivitäten und Stakeholder-Einbindung
Anwender und andere relevante Akteure über aktives Stakeholder-Engagement und umfassende Transferaktivtäten eng einzubeziehen, ist ein zentrales Anliegen der Initiative QI-Digital. Nicht nur ein engagierter Beirat steuert wertvolle Impulse bei. Auch ein stetig wachsendes Netzwerk liefert wichtige Informationen zu Anforderungen aus der Praxis, die in die Entwicklung der Lösungen einfließen.
Eine tragende Säule der QI sind Konformitätsbewertungsstellen. Um ihre Perspektiven und Erwartungen an eine digitale QI zu erfassen, hat die BAM in Kooperation mit der DAkkS und dem Verband Unabhängiger Prüflaboratorien (VUP) einen zielgerichteten, professionell begleiteten Dialogprozess für Prüf- und Kalibrierlabore mit ko-kreativen Online-Workshops aufgesetzt. Die gewonnenen Erkenntnisse aus diesen Praxiswerkstätten erlauben es, die Arbeit der Initiative noch stärker an den Praxis-Bedarfen auszurichten und weiterzuentwickeln.
Entsprechende konkrete Folgeprojekte mit interessierten Laboren bspw. zu Quality-X werden folgen. Weitere Begleitforschungsprojekte wie bspw. eine Trendstudie zur Zukunft der QI oder die internationale Vergleichsstudie der BAM zum Stand der Digitalisierung in der Konformitätsbewertung erlauben nicht nur vertiefte Erkenntnisse, sondern dienen auch der nachhaltigen Vernetzung.
Holistischer Ansatz: Technische Lösungen und geeignete Rahmenbedingungen
Ein solcher umfassender Stakeholderdialog ist auch deshalb wichtig, da neue digitale Lösungen in der QI, sowohl auf technischer als auch prozessualer Ebene zwischen Akteuren, Unternehmen (Hersteller/Inverkehrbringer/Betreiber) genauso wie Behörden/öffentliche Verwaltung (Genehmiger, Marktüberwacher, und andere), privatwirtschaftliche Konformitätsbewerter und andere Stakeholder betreffen. Die digitale Transformation der QI muss daher ganzheitlich auf verschiedenen Ebenen betrachtet werden. Sie bedeutet nicht nur technische Innovationen für Werkzeuge und Verfahren allein. Vielmehr erfordern digitale, transformative Lösungen die Gestaltung weitreichender Rahmenbedingungen an der Schnittstelle von Politik, Wirtschaft und Forschung.
Eine wesentliche Hürde können nötige Anpassungen des Rechtsrahmens sein, um innovative Lösungen tatsächlich in die Anwendung bringen zu können. Der bestehende Rechtsrahmen – von europäischen Richtlinien im Rahmen des New Legislative Frameworks über bundesdeutsche Gesetzgebung, technische Regeln bis hin zu kommunalen Verordnungen – kann mitunter so gestaltet sein, dass dieser die Einführung und Nutzung neuer, digitaler Lösungen behindert. Dies kann diverse Anwendungsbereiche betreffen – von Produktsicherheit über Umwelt- und Verbraucherschutz hin zu Handelsrecht. Es stellen sich daher die Fragen, inwiefern der bestehende Rechtsrahmen für eine digitale QI geeignet ist, bspw. welche Hürden, Hemmnisse (Stichwort Schriftformerfordernis), aber auch Potentiale sowie Anpassungsbedarfe und Gestaltungsoptionen bestehen. Im Rahmen einer von der BAM beauftragten juristischen Fachstudie werden daher gezielt alle Ebenen der Regelsetzung nach Lücken und Hindernissen für digitale Innovationen der QI untersucht. Entsprechende Analysen und abgeleitete Handlungsempfehlungen werden mit den zuständigen Akteuren, bspw. Gesetzgebern und Ministerien, aktiv geteilt und diskutiert.
Darüber hinaus ist die Initiative QI-Digital aktiv in relevanten Roadmapping-Prozessen und Normungsgremien (unter anderem bspw. zum Digitalen Produktpass) beteiligt.
QI-Digital Forum 2024
Das Jahr 2024 hält einige zentrale Entwicklungen für die QI bereit: Die EU verabschiedet den AI Act, der Digitale Produktpass nimmt Gestalt an und immer mehr europäische Datenraumkonzepte versprechen sichere digitale Ökosysteme. Diese Themen stehen daher auch im Fokus des 3. QI-Digital Forums, das am 9. und 10. Oktober an der BAM in Berlin stattfindet.
Unter dem Titel “AI Act, Data Spaces and Digital Product Passport – Setting the course for a green and digital transition“ erwarten die Besucher:innen spannende Keynotes, Paneldiskussionen und Fachvorträge sowie ein interaktiver Marktplatz mit Ausstellern und Exponaten rund um die Digitalisierung der QI. Außerdem werden Ergebnisse und Demonstratoren zu den Pilotprojekten und digitalen QI-Werkzeugen vorgestellt, die im Rahmen der Initiative QI-Digital entwickelt werden. Zudem bietet das QI-Digital Forum eine gute Gelegenheit, sich zu vernetzen und mit weiteren Stakeholdern aus der QI Herausforderungen und Chancen der Digitalisierung zu diskutieren. Mehr Informationen und die Anmeldung für eine Teilnahme vor Ort oder virtuell sind über die Website der Initiative unter www.qi-digital.de abrufbar.
Einladung zur Beteiligung
Für die notwendige Weiterentwicklung der digitalen QI bedarf es des Engagements von Stakeholdern aus der QI, Wirtschaft, Politik, Verwaltung und Forschung – in Deutschland und darüber hinaus. Die Initiative QI-Digital begrüßt daher ausdrücklich die Beteiligung von Unternehmen und weiteren interessierten Akteuren.
Kontakt:
www.qi-digital.de
info@qi-digital.de
Über die Autoren:
Dr. Claudia Koch leitet das Referat Digitalisierung der Qualitätsinfrastruktur an der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM) und ist Koordinatorin der BAM für die Initiative QI-Digital. Sie hat Betriebswirtschaftslehre und Internationales Wirtschaftsrecht studiert und in Innovationsökonomie an der TU Berlin promoviert.
Dr. Anna Maria Elert ist Koordinatorin der BAM für QI-Digital mit besonderem Schwerpunkt auf Themen rund um die Qualitätssicherung an technischen Anlagen. Sie hat im Fachgebiet Chemical Technology promoviert.
Lena Meyer koordiniert für die BAM QI-Digital-Aktivitäten mit Fokus auf Themen der modernen Produktion. Sie hat einen Masterabschluss in Produktionstechnik (Maschinenbau und Verfahrenstechnik).