Status quo Pflege in Deutschland: Zahlen, Daten, Fakten
Die Spitze des Eisberges zeigt sich bereits in vielen Medienbeiträgen. Danach entsteht der Eindruck, dass Pflege dauernd am Abgrund jongliert: Fachkräftemangel, unübersehbarer Pflegebedarfsanstieg, Kostenexplosion und gleichzeitig Insolvenzen von Kliniken und Pflegeeinrichtungen.
Und in der Tat: Die Versorgung ist gefährdet – und das mit Ansage. Denn zahllos sind seit langem die Berichte über vergebliche Pflegeplatz-Gesuche, Verringerung von Leistungen wegen der enormen Kostensteigerungen und die sogenannte „Rennpflege“, die nicht viel mit menschenwürdiger Pflege zu tun hat. Die Gefahr eines pflegerischen Kollaps‘ und in der Folge eines Zusammenbruchs des Gesundheits-Versorgungssystems wird immer konkreter. Entsprechende Mahnungen an die Politik sowie Vorschläge für eine Besserung gibt es zuhauf.
Vieles bei diesem Thema läuft bei der Frage der Finanzierung zusammen. Die Pflege ist Bestandteil des Sozialsystems und Pflegekosten betreffen die Allgemeinheit. Die Beitragssätze für die soziale Pflegeversicherung steigen. Das Bismarcksche System der Finanzierung über den Lohn gerät wegen der Umkehrung der Bevölkerungspyramide ins Wanken. Und wie sieht es mit der Qualität der Pflege aus, reißt die Ressourcenlücke sie mit in eine düstere Zukunft?
Änderung von Zahl und Beschaffenheit
In dieser Gemengelage kann es hilfreich sein, Fakten zu benennen. Zur Einordnung der Dimension, die Pflege für die Gesellschaft hat, helfen wichtige Parameter. Dazu gehört vor allem, wie viele Menschen Pflegeleistungen erhalten.
Die Sozialgesetze erlauben nur statistisch verlässliche Daten für die Langzeitpflege, weil dort direkt Pflegekosten anfallen. Demnach liegt die Zahl der nach dem Gesetz Pflegebedürftigen um 150 Prozent höher, als vor 25 Jahren, das sind mittlerweile über 5,6 Millionen Menschen (BMG, 2024). Die Zahl der Menschen, die in der Pflege arbeiten, ist in demselben Zeitraum aber nur um 100 Prozent gestiegen. Mit 1,75 Millionen Beschäftigten stellt die Pflege die größte Berufsgruppe im Gesundheitssektor.
Die Zahl der pflegebedürftigen Menschen mit Mehrfacherkrankungen und mit Demenz nimmt massiv zu. Damit ändert sich die Beschaffenheit des Pflegebedarfs. So gab es zum Beispiel einen Anstieg der Behandlungen von Alzheimer-Erkrankungen zwischen 2000 und 2020 um 138 Prozent (Destatis, 2022). Die pflegerische Betreuung dieser Menschen ist sehr aufwändig und erfordert vielfach besonderes Know-how. Das muss bei dem quantitativen Anstieg der Pflegebedürftigen stets berücksichtigt werden. Jede:r Pflegebedürftige mehr, potenziert in der alternden Gesellschaft den pflegerischen Aufwand.
Pflege an unterschiedlichen Orten
Die Zunahme der Fallzahlen in Krankenhäusern fällt nicht so dramatisch aus wie in der Langzeitpflege. 2022 waren es 16,8 Millionen Fälle (Destatis, 2023a). Die Straffung der Verweildauern auf Grund fortschrittlicherer Behandlungsmethoden führt sogar zu einer Verringerung der Kliniken auf derzeit knapp unter 2.000. Dieser Trend wird sich mit den geplanten Reformen des Gesundheitswesens fortsetzen.
Im Gegensatz dazu nimmt die Zahl der Langzeitpflegeeinrichtungen, insbesondere der ambulanten Pflegedienste, stetig zu. Momentan gibt es 11.680 Pflegeheime und 17.600 ambulante Dienste (pflegemarkt, 2024), insgesamt also gut 29.000 Einrichtungen der Langzeitpflege.
Pflegeleistungen werden auch an anderen Orten erbracht, unter anderem vor allem in bundesweit 1.090 Vorsorge- und Reha-Einrichtungen (Destatis, 2023b), aber auch in Tages- und Nachtpflegen, in pflegerisch betreuten Wohnsettings, bei niedergelassenen Ärzten und in Medizinischen Versorgungszentren sowie in 260 stationären und über 1.500 ambulanten Hospizen (DHPV, 2024). Hier täuscht die absolut hohe Zahl darüber hinweg, dass Deutschland im europäischen Vergleich nur im unteren Mittelfeld liegt (ckbm, 2024). Hierzulande wird nicht die in der Literatur lange als Standard angesehene Hospizdichte von 50 stationären Plätzen – das entspricht 5 bis 8 Hospizen – je eine Millionen Einwohner:innen erreicht.
84 Prozent der pflegebedürftigen Menschen werden zuhause versorgt. Das ist bei Weitem der größte Versorgungsort mit 4,7 Millionen Personen (Destatis, 2024). Davon wird wiederum der Großteil, über 3 Millionen Menschen, nur durch Angehörige pflegerisch betreut. Knapp unter einer Millionen Menschen erhalten Pflegeleistungen in stationären Einrichtungen, davon die Mehrheit (0,8 Millionen) in Pflegeheimen.
Wer will pflegen?
Mit den wachsenden Anforderungen an die pflegerische Versorgung ist gut ausgebildeter Nachwuchs wichtig. Es gibt in Deutschland eine leichte Zunahme der Pflegeschulen, zurzeit 1.200, die jedes Jahr circa 50.000 Ausbildungsverträge schließen, insgesamt also gut 150.000 Schüler:innen in der dreijährigen Pflegeausbildung. Damit ist Pflege der größte Ausbildungsberuf in Deutschland. Hinzu kommen mittlerweile über 80 Fachhochschulen und Universitäten, die Pflegestudiengänge anbieten. Allerdings liegt der Anteil der akademisch ausgebildeten Pflegekräfte nur bei 2,5 Prozent. Noch geringer fällt diese Quote in der Versorgungspraxis aus, wo weniger als ein Prozent der hochschulisch qualifizierten Pflegekräfte tätig sind (WR, 2024).
Der leichten Zunahme an Schulen, Auszubildenden und der Beschäftigten in der Pflege steht ein parabelförmig ansteigender Pflegebedarf gegenüber und es öffnet sich seit Langem eine Angebot-Nachfrage-Schere.
Woher stammt das Geld für die Pflege?
Eine Strukturreform ist folglich überfällig. In zurückliegenden Legislaturperioden wurde bis heute wenigstens eine Reform der Finanzierung der Pflege angekündigt, weil das System im gesellschaftlichen Wandel an Grenzen stößt. Die 1995 mit dem elften Sozialgesetzbuch (SGB XI) eingeführte Pflegeversicherung, bildet den Rahmen für die Teilfinanzierung von Pflegeleistungen im Bereich der Langzeitpflege. Wie eingangs dargelegt, nimmt im öffentlichen Diskurs zur Pflege die Finanzierung momentan den größten Platz ein. Diese kommt durch die demographische Entwicklung regelmäßig an ihre Grenzen und der Beitrag zur Pflegeversicherung steigt kontinuierlich. Auch die Eigenanteile, die Pflegebedürftige leisten müssen, brechen immer neue Rekorde. Der Eigenanteil für die stationäre Pflege betrug beispielsweise im Januar 2018 bundesweit noch 1.772 Euro und betrug am ersten Januar 2024 für das erste Jahr im Heim durchschnittlich 2.576 Euro, eine Steigerung von gut 45 Prozent innerhalb von sechs Jahren (vdek, 2024c).
Es gibt momentan 96 gesetzliche Pflegekassen, die jeweils ein Pendant in der Krankenversicherung haben. Außerdem kann das Pflegerisiko auch bei rund 50 privaten Kostenträgern abgesichert werden (Allianz, 2024).
Die Kosten für Pflegeleistungen, die im Krankenhaus, in der medizinischen Rehabilitation oder im Hospiz erbracht werden, übernimmt die Krankenkasse. Diese Unterteilung ist pflegefachlich nicht sinnvoll, aber historisch in der Rolle der Krankenpflege begründet. Die Ausgaben der sozialen Pflegeversicherung, in der knapp 90 Prozent der Deutschen versichert sind, lagen im Jahr 2022 bei 60 Milliarden Euro (vdek, 2024a). Die Ausgaben der gesetzlichen Krankenkassen beliefen sich 2022 auf 306,4 Milliarden Euro (vdek, 2024b). Welcher Anteil daran Pflegekosten sind, wird nicht ausgewiesen. Kosten für die Pflege werden auch über andere Sozialkassen finanziert. Dazu gehören die Unfallversicherung, die Kinder- und Jugendhilfe sowie die Sozialhilfe.
Zusammenfassung: Zahlen und Menschen
Die Pflege ist ein bedeutender Wirtschaftsfaktor, entscheidend bei der Aufrechterhaltung der Sozial- und Gesundheitsversorgung. Sie ist Garant für die Erhaltung von Lebensqualität bei Menschen in jeder Lebensphase und an vielen Orten, an denen Pflegeleistungen erbracht werden. Sie bildet die größte Berufsgruppe im Gesundheitswesen und den größten Ausbildungszweig in Deutschland. Ihr Stellenwert liest sich aber nicht nur an den gewaltigen Zahlen ab – wie den über fünf Millionen Pflegebedürftigen. Für einzelne Menschen kommt es auf die Qualität der Pflegeleistungen an. Die hängen von individuellen Bedürfnissen und den Pflegebedarfen ab, sei es im Krankenhaus, daheim oder im Hospiz. Aber auch von Qualifikation und Kompetenz der Pflegenden und dem Wert, den eine Gesellschaft bereit ist, für gute Leistungen zu zahlen. Gute Pflege wiederum ist nur möglich, wenn die Verzahnung von formaler Versorgung mit der Laienpflege, also den zahllosen An- und Zugehörigen, gut funktioniert.
Die Infografik Pflege in Zahlen – Aktuelle sektorenübergreifende Daten 2024 ist als Download erhältlich: Zum Download »