„Für die SAQ ist Nachhaltigkeit ein integraler Bestandteil des umfassenden Qualitätsbegriffs“

Im Interview mit der DGQ erläutert Dr. Prisca Zammaretti, Geschäftsführerin der SAQ Swiss Association for Quality, die Schweizer Sicht auf Nachhaltigkeit. Außerdem berichtet sie, in welcher Form sich die SAQ bei diesem Thema engagiert und wie sich Nachhaltigkeit und Qualität integriert denken lassen.
Welchen Stellenwert genießt „Nachhaltigkeit“ in der Schweiz?
Zammaretti: Nachhaltigkeit hat in der Schweiz einen hohen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Stellenwert. Öffentliche Verwaltungen, Hochschulen und zahlreiche Unternehmen berichten inzwischen systematisch über ihre Nachhaltigkeitsziele und -maßnahmen. Themen wie ESG-Standards, Transparenz in der Berichterstattung sowie Energie- und Klimapolitik haben deutlich an Bedeutung gewonnen.
Gleichzeitig zeichnen internationale Indizes ein differenziertes Bild: Während Umwelt- und Ressourcenindikatoren meist positiv ausfallen, wird die Schweizer Klimapolitik und der Übergang zu erneuerbaren Energien teilweise als zögerlich bewertet. Die aktuelle geopolitische und wirtschaftliche Lage beeinflusst zudem das Tempo der Umsetzung. Insgesamt lässt sich sagen: Das Interesse und die Aktivitäten sind groß – doch Politik und Wirtschaft stehen zunehmend unter Druck, Ambitionen weiter zu steigern und Umsetzung zu beschleunigen.
Wo steht die Schweiz im europäischen Vergleich? Gibt es nationale Besonderheiten?
Zammaretti: Die Schweiz zählt in Europa zu den Umweltvorreitern – etwa bei Luftqualität und Abfallmanagement. In der Klimapolitik bleibt sie dagegen zurück: Der Ausbau erneuerbarer Energien stagniert, und internationale Bewertungen sehen Nachholbedarf. Föderale Strukturen, wirtschaftliche Besonderheiten und ein aktiver zivilgesellschaftlicher Diskurs prägen diesen ambivalenten Situationen.
Wie wirken sich EU-Vorgaben auf die Schweiz aus? Gibt es umgekehrt Schweizer Regelungen mit Einfluss auf EU-Staaten?
Zammaretti: Die Beziehungen zwischen der Schweiz und der Europäische Union (EU) sind durch einen spürbaren Einfluss der EU auf die Schweiz und durch einen milderen Einfluss der Schweiz auf die EU gekennzeichnet.
Hinsichtlich des Einflusses der EU auf die Schweiz lässt sich feststellen: Obwohl die Schweiz kein EU-Mitgliedstaat ist, steht sie in vielen regulatorischen Feldern unter dem Druck, EU-Standards zu übernehmen. Beispiele: Im Energiebereich verhandelt die Schweiz aktuell ein Abkommen mit der EU über den Zugang zum europäischen Strommarkt („Elektrizitäts- beziehungsweise Strommarktintegration“) mit dem Ziel, die rechtliche Basis für grenzüberschreitenden Stromhandel und Netzstabilität zu schaffen.
In anderen Bereichen wie Lebensmittel- und Produktsicherheit, Forschung (zum Beispiel Programme wie Horizon Europe) sowie digitale Regulierung wirkt die EU ebenfalls direkt oder indirekt auf die Schweiz ein. Damit ergibt sich: Die Schweiz übernimmt zwar nicht automatisch sämtliche EU-Vorgaben, aber Markt- und Regelzugang sowie wirtschaftliche Verknüpfungen führen zu einer starken Orientierung an EU-Regulierung.
Zum Einfluss der Schweiz auf die EU lässt sich festhalten: Der direkte regulatorische Export der Schweiz in großem Stil in die EU ist selten. Vielmehr zeigt sich der Einfluss eher indirekt: Schweizer Unternehmen in den Bereichen Finanzdienstleistungen, Chemie und Life Sciences gelten international als Vorreiter in Standards oder Good-Practices, die in Teilen auch in der EU wahrgenommen werden. Zudem kann Schweizer Rechtsprechung oder zivilgesellschaftlicher Aktivismus — etwa Gerichtsfälle zu Menschenrechten oder Klimafragen — Impulse für EU-Debatten liefern.
Allerdings besitzen solche Impulse meist weniger normative Kraft als die EU-Regulierungen, welche auf die Schweiz wirken. Zusammenfassend kann man sagen, dass die Schweiz sich also in einer „asymmetrischen“ Beziehung zur EU befinden: Viel stärker geprägt durch EU-Regulierungen, als dass sie selbst große regulatorische Impulse in der EU setzt. Für die Schweiz ergibt sich daraus ein permanenter Balanceakt zwischen regulatorischer Anpassung und nationaler Autonomie.
Welche Bedeutung hat „Nachhaltigkeit“ für die SAQ und hat sich die Rolle in den letzten Jahren verändert?
Zammaretti: Für die SAQ Swiss Association for Quality ist Nachhaltigkeit heute ein integraler Bestandteil des umfassenden Qualitätsbegriffs. Die SAQ versteht Qualität nicht mehr bloß als Prozess‑ und Qualiätssystemoptimierer, sondern verankert Umwelt‑, Energie‑, Gesundheits‑ und Governance‑Aspekte im Sinne einer integrierten Managementperspektive.
In den letzten Jahren hat sich die Rolle der SAQ spürbar erweitert: Neben herkömmlichen Angeboten zur Prozess‑ und Managementoptimierung bietet sie zunehmend Plattformen, Weiterbildung und Zertifizierungen zu Nachhaltigkeitsthemen – etwa im Bereich Reporting oder Nachhaltigkeitsmanagement.
Damit reagiert die SAQ auf das veränderte Umfeld: Wettbewerbsfähigkeit heute hängt nicht allein von Produkt‑ und Servicequalität ab, sondern auch von der Fähigkeit einer Organisation, Nachhaltigkeitsanforderungen systematisch zu adressieren. Qualität und Nachhaltigkeit werden so miteinander verknüpft.
Mit welchen Aktivitäten engagiert sich die SAQ für dieses Thema?
Zammaretti: Die SAQ engagiert sich in vielfältiger Weise für das Thema Nachhaltigkeit:
- Sie organisiert regelmäßig Fachveranstaltungen und Tagungen — etwa rund um Themen wie Qualität und Nachhaltigkeit oder „Nachhaltigkeit bei …“ in einzelnen Branchen.
- Über ihre Tochtergesellschaft SAQ QUALICON AG und ARIAQ SA bieten sie Seminare und Zertifikatskurse zu Nachhaltigkeits- und Umweltmanagement an, unter anderem mit Modulen wie „Nicht finanzielle Berichterstattung“, „Nachhaltigkeit in der Lieferkette“ oder „Umweltmanagementsysteme“.
- Im Verbandsorgan „MQ Management und Qualität“ erscheinen Fachbeiträge zu Themen wie Klimarisiken, Nachhaltigkeit und Umweltmanagementsystemen.
- Zudem betreibt die SAQ Netzwerk und Austauschformate: Sie fördert Expertengruppen, Fachforen und Kooperationen, bietet Plattformen für den Dialog von Praxis und Wissenschaft im Bereich Qualität und Nachhaltigkeit.
Wie sieht die SAQ den Zusammenhang zwischen Qualität und Nachhaltigkeit?
Zammaretti: Die SAQ betrachtet Qualität nicht mehr nur als „Produkt- oder Prozessqualität“, sondern als ganzheitliches Managementprinzip, das Nachhaltigkeitsaspekte mit einschließt: Nachhaltigkeit ist Qualitätsdimension (zum Beispiel langfristige Produkt-/Dienstleistungsfähigkeit, Lieferkettenstabilität, Einhaltung von ESG-Kriterien). Qualitätssysteme bieten Methoden (Risikobewertung, Prozesssteuerung, PDCA-Kreis), die auch Nachhaltigkeitsziele messbar und steuerbar machen.
Wie sieht die SAQ den Zusammenhang zwischen Qualität und Nachhaltigkeit?
Zammaretti: Die SAQ sieht Qualität heute nicht mehr lediglich als Produkt‑ oder Prozessqualität, sondern als ein ganzheitliches Managementprinzip, in dem Nachhaltigkeitsaspekte systematisch verankert sind. Nachhaltigkeit wird damit zu einer integralen Qualitätsdimension – beispielsweise durch die langfristige Leistungsfähigkeit von Produkten und Dienstleistungen, Lieferkettenstabilität oder die Einhaltung von zum Beispiel ESG‑Kriterien.
Qualitätssysteme liefern hierfür bewährte Methoden: Risikobewertung, Prozesssteuerung und der klassische PDCA‑Zyklus (Plan‑Do‑Check‑Act) ermöglichen es, Nachhaltigkeitsziele messbar zu machen und kontinuierlich zu verbessern. In diesem Sinne verbindet die SAQ traditionelle Qualitätswerkzeuge mit den Anforderungen einer nachhaltigen Unternehmensführung.
Wäre es aus Ihrer Sicht sinnvoll, Nachhaltigkeitsaufgaben im Qualitätsmanagement anzusiedeln oder ist es besser, eine eigene Abteilung innerhalb der Organisation vorzusehen?
Zammaretti: Aufbauend auf dem Verständnis der SAQ lässt sich folgendes formulieren: Nachhaltigkeit sollte im Top‑Management fest verankert und strategisch mit der Unternehmensführung verbunden sein. Gleichzeitig empfiehlt sich eine enge operative Verknüpfung mit dem Qualitätsmanagement – Prozesse, Audits und Kennzahlen im QM bieten bewährte Mechanismen zur Steuerung von Nachhaltigkeitszielen.
Ein Hybridmodell erweist sich daher als besonders geeignet: Das QM übernimmt die Systematik, Implementierung und Kontrolle; eine eigene Nachhaltigkeitsfunktion oder ein „Center of Excellence“ verleiht tieferes Fachwissen (zum Beispiel Klimabilanzen, Lebenszyklusanalysen, ESG‑Reporting) und adressiert Stakeholder‑ sowie Kommunikationsaspekte.
In kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) kann das Qualitätsmanagement gleichzeitig „Home‐base“ für Nachhaltigkeit sein; bei größeren oder komplexeren Organisationen spricht vieles dafür, eine dedizierte Nachhaltigkeitseinheit einzurichten, die eng mit dem QM verzahnt ist.
Welche Kompetenzen sind wichtig, um Nachhaltigkeitsanforderungen zu erfüllen?
Zammaretti: Um heutigen Nachhaltigkeitsanforderungen gerecht zu werden, müssen Fach‑ und Führungskräfte eine Reihe von Kompetenzen entwickeln – sowohl operativ als auch strategisch.
- System‑ und Prozessdenken: Die Fähigkeit, komplexe Systeme zu überblicken, Prozesse zu vernetzen und Nachhaltigkeitskriterien in Managementsysteme einzubinden.
- Fachwissen zu ESG‑Standards und Regulierung: Kenntnis von EU‑ und nationalen Vorgaben (zum Beispiel CSRD/ESRS), Rechtsprechung und Reportinganforderungen.
- Datenanalyse und Reportingkompetenz: Beherrschung von Datenerhebung, KPI‑Design, Validierung und Berichterstattung (zum Beispiel ESG, GRI).
- Lifecycle‑ und Umweltbewertung (LCA): Lebenszyklusanalysen von Produkten oder Dienstleistungen, Bewertung ökologischer Auswirkungen.
- Risikomanagement und Due Diligence: Erkennen und Steuern von Lieferketten‑, Klimarisiken und rechtlichen Risiken im Nachhaltigkeitskontext.
- Interne Audits und Assurance: Prüfen, Nachweisführung und gegebenenfalls externe Verifikation von Nachhaltigkeitsprozessen.
- Stakeholder‑Engagement und Kommunikation: Dialog mit Mitarbeitenden, Kund:innen, Behörden und Investoren; überzeugende Darstellung von Nachhaltigkeitszielen.
- Change‑ und Projektmanagement: Umsetzung von Nachhaltigkeitsmaßnahmen, Förderung eines Kulturwandels, Schulung und Mobilisierung.
- Digitale Kompetenz und Datenanalyse: Einsatz digitaler Tools, Monitoring‑Systeme und Traceability zur Steuerung von Nachhaltigkeitsprozessen.
Viele dieser Kompetenzen finden sich bereits im klassischen Qualitätsmanagement‑Werkzeugkasten. Doch die heutigen Anforderungen erfordern eine Erweiterung – etwa mit ESG‑Reporting‑Experten oder LCA‑Spezialist:innen.

Über die Interviewpartnerin:
Seit 2021 steht Prisca Zammaretti als CEO an der Spitze der Swiss Association for Quality SAQ und prägt deren strategische Ausrichtung. Zuvor sammelte sie über mehrere Jahre hinweg umfassende Führungserfahrung in Schlüsselbereichen wie Quality & Regulatory sowie in der Entwicklung von Medizinprodukten, Lebensmitteln und Pharma. Ihre Laufbahn vereint tiefes Fachwissen mit unternehmerischem Weitblick – eine Kombination, die sie zu einer anerkannten Gestalterin macht.
