Normung in der Pflege: über den Output hinaus

In der Industrie sind Normen der Garant dafür, dass sich die Produktionsprozesse effizient wiederholen lassen und Produkte so effektiv funktionieren wie geplant. Damit wird sichergestellt, dass die Qualität unverändert bleibt und den Erwartungen der Kund:innen entspricht.
Überträgt man dies auf den Begriff „Pflege“, dann sollten Pflegeprozesse so „genormt“ sein, dass sie Vorgaben und Empfehlungen für eine möglichst effektive und effiziente Durchführung enthalten. Das trifft tatsächlich auf Pflege-Expertenstandards (Pflegestandards) zu, die vieles mit Normen gemeinsam haben. Sie bündeln das beste verfügbare Wissen, um ein gewünschtes Pflegeergebnis unter Abwägung der einzusetzenden Ressourcen zu erreichen.
In der ISO 9000 wird bekanntlich kein Unterschied zwischen Herstellung und Dienstleistung gemacht. Qualität wird nach dem Grad gemessen, in dem definierte Anforderungen erfüllt werden. Das gilt für die Produkte eines Herstellungsprozesses genauso wie für die Ergebnisse einer Pflegeleistung.
Sind Normung in der Produktion und in der Pflege folglich dasselbe?
Ausgehend vom Ergebnis könnte man die Frage bejahen: Käufer:innen und Pflege-Kund:innen haben Erwartungen an das Resultat, die erfüllt werden müssen. Ob Herstellungsprozesse oder Pflegeinterventionen: Sie dienen dazu, das gewünschte Ergebnis effizient und effektiv zu erreichen. Allerdings sind die Rahmenbedingungen für die Normung der Prozesse unterschiedlich, denn Produkte werden für Kund:innen hergestellt, während Pflegeergebnisse gemeinsam mit der Klient:in erreicht werden. Das ist ein scheinbar feiner, aber entscheidender Unterschied.
Individuelles Empfinden als Qualitätsfaktor
Wenn die Klient:in ein Teil des Prozesses ist, dann spielen schon vor der Zielerreichung menschliche Kriterien eine Rolle. Das sind Ethik, Moral und Werteverständnis. Zum Beispiel können situationsabhängig bestimmte Pflegeinterventionen Schmerzen verursachen, sodass eine individuell angepasste Strategie gewählt werden muss, um das gewünschte Ziel zu erreichen. Die ist dann möglicherweise nicht die effizienteste, obwohl in Bezug auf den Fall die effektivste Intervention.
Was bedeutet das für die Normung in der Pflege?
Prozesse sind durch drei Schritte gekennzeichnet: Input – Aktivität – Output. Der letzte Schritt ist der quantitativen Kategorie zuzuordnnen. Übertragen auf die Pflege wäre das zum Beispiel die Anzahl der durchgeführten Schmerzberatungen innerhalb eines bestimmten Zeitraumes.
Bei der Erreichung dieses Zieles spielen zusätzlich die individuellen Befindlichkeiten der behandelten Personen eine entscheidende Rolle. Für die Standardisierung der Prozesse hat das Bedeutung, weil das Pflegeergebnis vom Erleben der Kund:in beeinflusst wird. Das Outcome eines Pflegeprozesses, das dem Output nachgelagert ist, gewinnt dadurch wesentliche Bedeutung. Normung und Standardisierung in der Pflege müssen daher stets neben dem Ergebnis auch das Erlebnis berücksichtigen.
Gesellschaftsnormen wichtiger Faktor in der Pflege
Eine Pflegeintervention zielt darauf ab, das beste mögliche Ergebnis bei der behandelten Person zu erreichen. Die dafür erforderlichen Handlungen und Maßnahmen lassen sich unter Einbeziehung der individuellen Voraussetzungen der Kund:in aus Standards ableiten. Normung geschieht aber in der Pflege in einem Kontext, der von Ethik, Moral und gesellschaftlichen Normen beeinflusst ist. Das Schmerzempfinden ist zum Beispiel nicht nur individuell unterschiedlich, sondern variiert auch signifikant zwischen verschiedenen Kulturkreisen. Ein Standard für die Schmerztherapie, der hier gilt, kann anderswo andere Interventionen erfordern. Die Normung in der Pflege und Gesellschaftsnormen haben also unmittelbar etwas miteinander zu tun, viel mehr als in Produktionsprozessen.
Zusammenspiel von Pflege- und Herstellungsprozessen
Besonders spannend wird es an der Schnittstelle von Dienstleistung und Produkt. Die Vielzahl der Einflussgrößen, die in Pflegeprozessen ehedem eine Rolle spielen – wie oben dargestellt unter anderem Individualität, Gesellschaftsnormen, Ethik – wird erweitert durch das Zusammenwirken mit Technik und Digitalisierung. Das ist eine besondere Herausforderung für die Normung, weil zu beobachten ist, dass die dafür erforderlichen Expert:innen meist Kompetenzen aus einer abgegrenzten Schnittmenge, zum Beispiel dem Schmerzmanagement, mitbringen. Das technisch-funktionale Know-how zu einem Hilfsmittelprodukt zur Schmerzreduktion liegt gewöhnlich bei einer anderen Person. Für den Anwendungsprozess sind beide Seiten entscheidend, die Qualität der Leistung hängt auch vom Verständnis der jeweiligen Normungsperspektive ab.
Pflege: Normen freiwillig, Standards verbindlich
Hier wird auch der Unterschied zwischen Standards und Normen in der Pflege deutlich. Der prominenteste ist banal, dass die Normung nämlich von anerkannten Normungsgremien durchgeführt wird. Dazu gehören neben DIN/ISO auch DKE/IEC und andere. Die Anwendung dieser Normen ist freiwillig, außer wenn sie durch eine Rechtsverordnung vorgeschrieben sind.
An der Schnittstelle der Pflege zur Technik, vor allem bei Prozessen im Zusammenhang mit der Nutzung digitaler Technologien, werden Normen und Anwendungsregeln entwickelt. Sie unterstützen Herstellende bei der Erschaffung von praxistauglichen Produkten. Sie geben Dienstleistern Hinweise, welche Qualifikationen die Anwender benötigen, um den fachlichen Output zu erhöhen und das Outcome bei Pflegeklient:innen zu verbessern.
Pflegestandards hingegen werden in Deutschland unter Federführung des Deutschen Netzwerks für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP) entwickelt. Dies geschieht in einem weitestgehend nicht öffentlichen Verfahren. Dennoch haben diese Standards aber berufsethisch, organisations- und auch haftungsrechtlich verbindlichen Charakter. Sie beschreiben die wissenschaftlich konsentierten Rahmenbedingungen für evidenzbasiertes Handeln im Zusammenhang mit Pflegephänomenen: Wundversorgung, Sturzvorbeugung, Hautschutz, et cetera.
Fazit
Normung dient wie auch die Standardisierung der Sicherung und Verbesserung der Qualität der Pflege. Im Englischen werden die Begriffe sogar synonym benutzt und die jeweilige Bedeutung des Wortes „standard“ ist nur aus dem Kontext zu erschließen.
Normen und Standards werden ergänzt durch Verordnungen, Richt- und Leitlinien sowie Rechtsvorschriften und Gesetze und stehen im Zusammenhang mit gesellschaftlichen Normen, mit denen in der Pflege eine starke Wechselwirkung besteht.
Bei dem Thema Normung denkt man vielleicht nicht zuerst an die Pflege. Aber es ist klar, dass sie wichtig ist und ebenso wie die Standardisierung von Pflegeprozessen gute Pflege ermöglicht.