Nachhaltigkeit im Klinikbau – In Göppingen entsteht das erste „Green Hospital“ Baden-Württembergs
Die Kliniken Deutschlands durchleben einen massiven Transformationsprozess. Viele Krankenhäuser befinden sich in einer finanziell prekären – teilweise existentiell bedrohlichen – Situation. In dem gesetzlich vorgegebenem Dualen Finanzierungssystem sollen die laufenden Kosten über Fallpauschalen und die notwendigen Investitionen über Fördermittel der Bundesländer gedeckt werden. Seit vielen Jahren kommen die Länder dieser gesetzlichen Vorgabe nicht ausreichend nach, so dass sich bundesweit ein Investitionsstau in der baulichen Struktur vieler Kliniken in Milliardenhöhe angesammelt hat. Die Kliniken sind oftmals gezwungen, notwendige Investitionen und Instandhaltungen aus den laufenden Vergütungen zu finanzieren. Das Defizit der Kliniken Baden-Württembergs summiert sich im forecast auf die Jahresabschlüsse 2024 laut Landkreistagspräsident Joachim Walter auf rund 900 Millionen Euro.
Das ALB FILS KLINIKUM, in hundertprozentig kommunaler Trägerschaft des Landkreises Göppingen, hat sich vor mehr als 10 Jahren gegen die umfassende Sanierung eines Klinikgebäudes zugunsten eines kompletten Neubaus entschieden. Neben essenziellen wirtschaftlichen Gründen standen hier insbesondere prozessuale Optimierungen, die Attraktivität als Arbeitgeber und umfassender Gesundheitsdienstleister sowie die zu erwartenden Neustrukturierungen in der Krankenhauslandschaft im Vordergrund. Das neue Klinikum befindet sich nun im „Endspurt“ der Fertigstellung und wird sich in Teilen über eine „Effizienzrendite“ im Abgleich zum Weiterbetrieb der mehr als 50 Jahre alten Bestandsklinik refinanzieren. Der Grund dafür liegt unter anderem in der strategischen Prämisse des nachhaltigen und hoch energieeffizienten Bauens. Die erwartete Energiepreisentwicklung der kommenden Wirtschaftsperioden wird diese Effizienzrendite des Neubaus weiter steigern.
Raum für modernste prozessoptimierte Medizin und Pflege
Derzeit entsteht mit dem Neubau des ALB FILS KLINIKUMs in Göppingen eine der modernsten Kliniken in Europa. Mit einem Investitionsvolumen von rund 360 Millionen Euro wird auf 43.000 qm Nutzfläche und sieben Vollgeschossen Raum für modernste prozessoptimierte Medizin und Pflege geschaffen. Mit Baubeginn im Jahr 2019 entstehen dort unter anderem zwölf OP-Säle, inklusive Hybrid OP, drei Herzkatheterlabore, vier Kreißsäle, zwei Intensiv- und eine IntermediateCare-Stationen und ein Hubschrauberlandeplatz. Mit 645 Normalstationsbetten, modernster medizinischer Ausstattung sowie hellen und modernen Räumlichkeiten ist der bauliche Grundstein für eine optimale Behandlungsqualität der Patienten gelegt und auch das Personal profitiert von einer positiven Arbeitsplatzgestaltung.
Von der DGNB mit dem Vorzertifikat in Gold ausgezeichnet
Die Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) bewertet die Nachhaltigkeit eines Gebäudes und hat den Neubau des ALB FILS KLINIKUMs mit dem DGNB-Vorzertifikat in Gold ausgezeichnet. Die DGNB bestätigt damit, dass eine besonders umweltfreundliche, wirtschaftliche, effiziente, ressourcensparende und optimale Gebäudeplanung für den Neubau verfolgt wurde. Das ALB FILS KLINIKUM ist somit das erste „Green Hospital“ in Baden-Württemberg. Das Klinikum hat, der Unternehmensstrategie folgend, bereits vor Baubeginn und zu einem sehr frühen Planungsstadium diesen Ansatz konsequent verfolgt. Ziel war eine nachhaltige Planung und Umsetzung des Neubaus. Der Antrieb bestand im Besonderen darin, die Wirtschaftlichkeit zu erhöhen und mehr Lebensqualität bei gleichzeitig geringeren Betriebskosten zu erreichen – immer mit dem Fokus auf Mensch und Mitwelt.
Nachhaltigkeitsgedanke im Planungsprozess von Anfang an berücksichtigt
Durch die frühe Einstiegsphase konnten bereits wesentliche Optimierungspotenziale in der Grobplanung des Großprojektes berücksichtigt werden. So konnte beispielsweise eine Reduzierung des Wärmebedarfs um circa 60 Prozent sowie die Umsetzung einer Wärmerückgewinnung mit einem Effizienzgrad von über 85 Prozent realisiert werden. Darüber hinaus wurden die Voraussetzungen für weitere Förderungen durch den Bund geschaffen, indem das Haus am Ende des Planungs- und Optimierungsprozesses den extrem hohen Anforderungen des KfW-55-Programms entsprach.
Die Herausforderungen waren groß, aber machbar
Die größte Herausforderung bei der Berücksichtigung des nachhaltigen Ansatzes sind die höheren Kosten für nachhaltige Materialien. Beim Neubau des ALB FILS KLINIKUMs wurde insbesondere die Gebäudehülle nach KfW-55-Standard gebaut – dies war zu Baubeginn der höchste Standard unterhalb des Standards des Passivhauses. Verwirklicht wird außerdem eine komplexe Wärmerückgewinnung über Wärmetauscher. Ein gutes Raumklima wird durch eine „Betonkernaktivierung“ der Decken erreicht und durch die Auswahl besonders nachhaltiger Materialien mit positiven Eigenschaften, wie zum Beispiel geringe Ausdünstung, Langlebigkeit, Ursprung aus nachhaltigen Quellen und geringe Schadstoffbelastung. Ein weiterer wichtiger Baustein zur nachhaltigen Bauweise ist die PV-Anlage mit 425 kwh/p und einer hundertprozentigen Nutzung für den Eigenverbrauch. Grundsätzlich umfasst der Green-Hospital-Ansatz nach DGNB ökologisch-ökonomische, soziokulturelle, technische, prozessuale und standortbezogene Qualitäten und Kernbereiche.
Die positiven Effekte sind vielfältig
Durch die nachhaltige Bauweise erhofft sich das Klinikum, seine Attraktivität für Arbeitnehmer weiter zu steigern, denn die neuen Arbeitsplätze wurden mit viel Tageslicht und kurzen Wegen geplant und realisiert. Weiter sieht das Klinikum einen Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Kliniken bei der Patientengewinnung. Günstigere Bankkredite und Tilgungszuschüsse sind ebenso ein wesentlicher Aspekt, wie auch die Vorreiterrolle für andere Unternehmen. Ein positives Image in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit ist bereits heute zu spüren.
Zudem stehen für diese nachhaltige Bauweise KFfW-55-Förderungmittel von der Bundesrepublik Deutschland zur Verfügung. Nach der Vorzertifizierung soll nun abschließend das DGNB-Zertifikat in Gold erreicht werden.
Bereits heute ist das ALB FILS KLINIKUM ein KLIMAWIN-Unternehmen des Umweltministeriums Baden-Württemberg und orientiert sich an den Sustainable Development Goals (SDGs) der Agenda 2030 der United Nation (UN). Die DGNB unterstützt ebenso diese Ziele. Um den Zusammenhang einer nachhaltigen Bauweise mit den SDGs herauszuarbeiten und transparent zu machen, sind sämtliche Kriterien zu den Zielen der UN überprüft. Als Ergebnis erhält jedes Projekt, das eine DGNB-Zertifizierung erfolgreich abschließt, künftig eine Aussage darüber, inwieweit es einen Beitrag zur Erreichung der SDG geleistet hat.
Nachhaltiges Bauen zahlt sich langfristig aus
Vor dem Hintergrund der Entwicklung der Nachhaltigkeit in den vergangenen Jahren und der weiteren Fokussierung der Gesellschaft auf dieses Thema war es in den Planungsjahren des Neubaus, 2014 bis 2018, völlig richtig, den Weg des „Green Hospital“ einzuschlagen. Bereits vor Bezug des Neubaus ist klar, dass das Gebäude in Sachen Nachhaltigkeit, Wirtschaftlichkeit und Flexibilität hohe Maßstäbe setzt – auch mit einem konsequenten Fokus auf biologische und nachhaltige Baustoffe. Hohe Wertstabilität sowie Transparenz bei den eingesparten Ressourcen und Emissionen sind gesetzt. Der Ansatz des nachhaltigen Bauens und der Wunsch, der eigenen Verantwortung gegenüber der Umwelt und ökologischen Werten nachzukommen, führten zu einem langen und manchmal schwierigen, Weg. Anderen Kliniken kann an dieser Stelle nur geraten werden, sich nicht entmutigen zu lassen. Bei der Planung von ähnlichen Bauprojekten rät das Klinikum, den CO2-Ausstoß bei den Entscheidungen mit „einzupreisen“ und in der Betrachtung über die reinen Baukosten hinauszugehen, denn das „Green Hospital“ muss in seinem gesamten Lebenszyklus der Immobilie gesehen werden – Langfristigkeit macht sich hier bezahlt.
Mehr Unterstützung würde helfen
Eine Anregung geht an die Politik auf Bundes- und Landesebene: Hier ist mehr Unterstützung wünschenswert. Bei den aktuellen finanziellen Problemen geht es vielen Kliniken rein ums Überleben. Ohne tiefgreifende Förderprogramme können sie Nachhaltigkeit nicht ausreichend berücksichtigen. Die Politik sollte das Engagement in Nachhaltigkeit und Zukunftsfähigkeit öffentlicher Infrastrukturen auch im Bereich „Green Hospital“ stärker fördern, zum Beispiel durch die Bereitstellung von Beratungs- und Zertifizierungspartnern über Bund und Länder. Dies würde auch längerfristige Transformationsprozesse hin zum „Green Hospital“ bei Bestandsimmobilien ermöglichen. So könnte das „Green Hospital“ zum Standard-Hospital werden – zumindest für Neubauten wäre es wünschenswert. Durch die aktuellen Rahmenbedingungen im Gesundheitswesen und den hohen Kostendruck im System wird es sich aber ohne weitere Anreiz- und Fördersysteme nur sehr langsam etablieren können. Der Fokus im Gesundheitssystem muss sich grundsätzlich aber auch an den Vorgaben und Klimazielen der UN und der EU orientieren. Auch die langfristige Unterstützung von öffentlicher Seite ist zwingend notwendig. Der öffentliche Gesundheitssektor wird diesen tiefgreifenden Transformationsprozess nur mit Unterstützung durch Bund und Länder leisten können. Ein gutes Beispiel könnten hier Vergleichsprojekte, wie beispielsweise die Digitalisierung mit der Förderung durch das KrankenhausZukunftsGesetz (KHZG) sein.
Über die Autoren:
Dr. Ingo Hüttner ist medizinischer Geschäftsführer sowie Vorsitzender der Geschäftsführung der ALB FILS KLINIKUM GmbH. Seit 2021 gehört Dr. Hüttner dem Vorstand der DGQ an.
Wolfgang Schmid ist Kaufmännischer Geschäftsführer der ALB FILS KLINIKUM GmbH.
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