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Interview zum FQS-Forschungsprojekt AIDpro: Datenvalidierung für Produktionsprozesse

Forschungsprojekt AIDpro, Visualisierung

Angesichts wachsender ökologischer und wirtschaftlicher Herausforderungen müssen nicht zuletzt kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) ihre Produktionseffizienz absichern und idealerweise steigern, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Durch die Digitalisierung und die Nutzung einer datenbasierten Wertschöpfung mittels künstlicher Intelligenz (KI) kann die Produktivität und Flexibilität der Fertigungsprozesse in Industrie-4.0-Umgebungen gesteigert werden. Allerdings stellen die Implementierung und das Training serienreifer KI-Lösungen sowie ihre sichere Anwendung eine komplexe Herausforderung dar.

Oft sind die Prozessdaten, die die KI-Modelle im laufenden Betrieb verarbeiten, nicht vollständig durch die zuvor verwendeten Trainingsdaten repräsentiert. So weisen Sensordaten im Betrieb häufig Abnormalitäten oder Fehler auf, die durch externe Störungen, Übertragungsfehler oder defekte Sensoren verursacht werden. Zudem können Faktoren wie Saisonalität, Verschleiß und Verschmutzung dazu führen, dass sich Prozessdaten im Laufe der Zeit dynamisch ändern. Folglich können eingesetzte KI-Modelle unvorhersehbare Entscheidungen treffen, wenn aktuelle Anwendungsdaten stark von den Trainingsdaten abweichen. Um zu verhindern, dass Datenfehler die Entscheidungsfindung beeinträchtigen, müssen diese Anomalien mit höchstmöglicher Zuverlässigkeit erkannt werden, damit entsprechend gegengesteuert werden kann.

Im Rahmen des über die FQS – Forschungsgemeinschaft Qualität e.V. geförderten Forschungsprojekts AIDpro entwickeln das Fraunhofer-Institut für Produktionstechnologie IPT und das Fraunhofer-Institut für Angewandte und Integrierte Sicherheit AISEC über einen Zeitraum von zwei Jahren ein System zur automatisierten Datenvalidierung und Überwachung der Anwendungsphase von KI-Lösungen. Die Forschungsarbeiten werden von acht Unternehmen im Projektbegleitenden Ausschuss unterstützt.

Im Interview geben Jana Hüls (Fraunhofer IPT) und Wei-Herng Choong (Fraunhofer AISEC) einen Ausblick auf das Projekt und erläutern, wie Unternehmen von den Forschungsergebnissen profitieren können.

Aus welcher Problemstellung heraus ist das Forschungsprojekt entstanden?

Hüls: Die Entwicklung von serienreifen KI-Lösungen gliedert sich in zwei Phasen: die Modellbildungsphase und die Anwendungsphase. In der Modellbildungsphase erfolgen die Datenauswahl, Datenvorverarbeitung, Algorithmenauswahl sowie das Training und die Validierung des Modells. Während diese Schritte traditionell von Expertinnen und Experten übernommen werden, ermöglichen neue Ansätze im Forschungsgebiet des Automated-Machine-Learning (AutoML) eine teilweise Automatisierung bestimmter Schritte. Dadurch können KI-Lösungen auch für KMU ohne spezifische Fachkenntnisse interessanter werden.

In den cyber-physischen Produktionssystemen der Fertigungsindustrie liegen die Herausforderungen neben der Modellbildung allerdings vor allem in der Anwendungsphase von KI-Modellen. Diese Herausforderungen resultieren aus geringer Datenqualität, verursacht durch Sensorfehler und zeitlich variierende Abweichungen, den hohen Effizienzansprüchen der Branche sowie wirtschaftlichen Risiken und komplexen, oft intransparenten Systemfunktionen von KI. Besonders relevant sind die Anfälligkeit für fehlerhafte sowie sich dynamisch ändernde Daten und die wirtschaftlichen Risiken, die mit KI-Fehlentscheidungen verbunden sind. Im Betrieb leiten KI-Modelle aus Prozessdaten Informationen ab, die entweder zur Entscheidungsunterstützung oder zur autonomen Befehlsausführung genutzt werden. Dabei errechnen sich die Modellausgaben aus den im Training identifizierten Modellparametern und den momentanen Eingangsdaten. Weicht die Eingabe an die KI signifikant von den prinzipiell erlernten Strukturen der Trainingsdaten ab, können unvorhergesehene Entscheidungen durch die KI getroffen werden.

Choong: Da KI-Systeme perspektivisch auch in KMU zum Einsatz kommen müssen, um den Effizienzanforderungen gerecht zu werden, ist es entscheidend, das Risiko unvorhersehbarer KI-Entscheidungen zu minimieren. KI-Entscheidungen, die auf unzuverlässigen Daten basieren, bergen erhebliche Risiken für Produkte, Maschinen und Mitarbeiter. Für viele produzierende KMU ist die fehlende Qualität ihrer Prozessdaten und das damit verbundene Risiko ein Hemmnis beim Einsatz von KI-Modellen. An dieser Stelle soll das Forschungsprojekt AIDpro ansetzen und durch automatisierte Datenvalidierung und Überwachung der Anwendungsphase der KI-Lösungen die Grundlage für den sicheren Einsatz von KI in der Produktion ermöglichen. Dies gilt es durch geeignete, automatisierte Ansätze zur Anomalieerkennung zu adressieren.

Welches Know-how wird im Rahmen des Forschungsprojekts AIDpro entwickelt und wie kann es zur Lösung der geschilderten Problemstellung beitragen?

Hüls: Das Ziel von AIDpro ist die Entwicklung eines Datenvalidierungssystems (DVS) für eine automatisierte Prüfung und Sicherstellung der Datenqualität und eine Überwachung der Anwendungsphase von KI-Lösungen. Dabei wird das System speziell für den Einsatz in produktionstechnischen Systemen anhand konkreter Anwendungsfälle aus dem Projektbegleitenden Ausschuss entwickelt. Das DVS soll keine bloße Software-Bibliothek darstellen, sondern ein umfassender praxisnaher Leitfaden samt anwendungsbezogenem Software-Demonstrator sein. Der Leitfaden wird dazu dienen, KMU zu befähigen, selbstständig erste Schritte im Bereich Machine Learning zu gehen, indem eine validierte Datengrundlage aufgebaut wird.

Darstellung des geplanten Datenvalidierungssystems (DVS)

Abb. 1: Darstellung des geplanten Datenvalidierungssystems (DVS) ©Fraunhofer IPT

Choong: Das DVS soll modular aufgebaut sein und eine direkte Schnittstelle zu den Daten aus den Produktionsprozessen haben. Zunächst werden Vollständigkeits- und Konfidenz-Checks durchgeführt, die regelbasiert überprüfen, ob alle Daten vollständig und innerhalb der von Experten vordefinierten Wertebereiche liegen. Ergänzend wird eine Erkennung von Ausreißern durchgeführt. Dafür werden insbesondere neuartige, KI-basierte Erkennungsmethoden verwendet. Des Weiteren wird das System zeitliche Veränderungen in den Daten, sogenannte Datendrifts, überprüfen. Diese Information kann Aufschluss über veränderte Produktionsbedingungen geben und dazu genutzt werden, das KI-Modell mit den veränderten Bedingungen neu zu trainieren.

Die validierten Daten inklusive der Metadaten werden anschließend gespeichert, um sie zum Beispiel für das Training von KI-Modellen für Einsätze wie intelligente Qualitätskontrolle zu nutzen. Daneben wird auch ein Data-Monitoring-Ansatz entwickelt, der die Datenvalidierung und die Daten überwacht. Das übergeordnete Ziel des DVS ist es demnach, Datenfehler, Anomalien und Datendrifts zu erkennen, zu visualisieren beziehungsweise zu alarmieren und diese – in Zusammenwirkung mit Anwendenden – zu handhaben.

Wer soll von den Ergebnissen profitieren und welcher konkrete Nutzen ergibt sich für Unternehmen?

Hüls: Von den Ergebnissen sollen insbesondere produzierende KMU profitieren. Die validierten Prozessdaten, die das DVS bereitstellt, schaffen die Voraussetzung für den industriellen Einsatz von KI. Die Überwachung der Daten während der Anwendungsphase von KI schützt zudem vor den Risiken von Fehlentscheidungen durch fehlerhafte Datenpunkte. Der praxisnahe Leitfaden unterstützt Unternehmen zusätzlich, um – aufbauend auf den validierten Daten – KI-Potenziale zu erschließen, die sich zum Beispiel in der Qualitätskontrolle, der intelligenten Wartung, oder der Identifizierung ressourceneffizienter Betriebspunkte und Qualitätsvorhersagen ergeben. Außerdem können die Unternehmen durch das DVS und das transparente Data Monitoring eine unternehmensinterne Datenkompetenz aufbauen.

Wie sieht das weitere Vorgehen im Forschungsprojekt aus?

Choong: Zunächst werden wir eng mit dem Projektbegleitenden Ausschuss zur Identifizierung und Definition relevanter Anwendungsfälle zusammenarbeiten. Unser Ziel ist es, eine vielfältige Sammlung von praxisnahen und relevanten Anwendungsfällen und Datensätzen zu erstellen, um ein allgemeines DVS entwickeln zu können. Basierend auf diesen Anwendungsfällen leiten wir die Spezifikationen und Anforderungen an das DVS ab, die uns bei der Entwicklung und Implementierung des Gesamtkonzepts leiten. Nach der erfolgreichen Implementierung des DVS führen wir mit den Industriepartnern die Validierung und Evaluierung des DVS in einer realen Fertigungsumgebung zusammen durch. Das Feedback der Unternehmen wird in eine weitere Entwicklungsiteration einfließen. Anschließend werden wir weiterführende Anwendungsszenarien für das DVS identifizieren und bewerten, wobei der Schwerpunkt auf Themen wie Predictive Maintenance und Qualitätssicherung liegt.

 


Stimmen aus dem Projektbegleitenden Ausschuss:

 

André Heinke, Leiter Vertrieb und Marketing, Bitmotec GmbH:

Als Partner im Projektbegleitenden Ausschuss des Forschungsprojekts AIDpro engagiert sich die Bitmotec GmbH für die Entwicklung standardisierter Methoden zur Sicherung der Datenqualität in Produktionsprozessen. Mit unserer Industriellen Datenplattform BITMOTECOsystem verbinden wir Maschinen und Sensoren in produzierenden Unternehmen, um beispielsweise OEE-Lösungen umzusetzen. Aus unserer langjährigen Erfahrung mit KI-Technologien in der Industrie wissen wir, dass die Qualität und Integrität der erfassten Daten eine zentrale Rolle spielen. Nur wenn Industrieunternehmen ihren Daten vertrauen, sind sie bereit, den Ergebnissen zukünftiger KI-Technologien zu glauben und diese gewinnbringend einzusetzen.

Durch die Teilnahme an AIDpro wollen wir innovative Ansätze zur kontinuierlichen Überwachung und Validierung von Prozessdaten erarbeiten. Die Identifikation von Ausreißern und Datendrifts – etwa durch Verschleiß oder Messfehler – ist essenziell, um verlässliche Entscheidungsgrundlagen für KI-gestützte Optimierungen zu schaffen. Die Erkenntnisse aus dem Forschungsprojekt helfen uns, unsere Lösungen für die digitale Produktion weiterzuentwickeln und unseren Kunden eine noch höhere Datenqualität sowie Prozesssicherheit zu bieten. So schaffen wir eine stabile Basis für den erfolgreichen Einsatz von KI in der industriellen Praxis.

Daniel Narberhaus, Research & Development, Aventus GmbH & Co. KG:

Unsere Motivation für die Teilnahme am Forschungsprojekt AIDpro ist klar: Wir wollen KI nicht nur anwenden, sondern verstehen – und vor allem auf einer qualitativ hochwertigen Datenbasis weiterentwickeln. Statt auf bloße Datenmengen zu setzen, legen wir den Fokus auf plausible, nachvollziehbare Daten. Nur so können wir KI-Lösungen schaffen, die nicht nur leistungsfähig, sondern auch vertrauenswürdig und praxisnah zum Nutzen unserer Kunden sind. Die im Projekt gewonnenen Erkenntnisse fließen direkt in die Neu- und Weiterentwicklung unserer digitalen AVENTUS-Produkte ein – mit dem Ziel, für unsere Kunden noch intelligentere und verlässlichere Lösungen für eine leistungsstarke Produktion zu entwickeln.

Über die Interviewpartner:

Jana Hüls, Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Production Quality, Fraunhofer-Institut für Produktionstechnologie IPT

Wei Herng Choong, Department Cognitive Security Technologies, Fraunhofer-Institut für Angewandte und Integrierte Sicherheit AISEC

 


Über das Forschungsprojekt: 
Das Projekt wird im Rahmen des Programms „Industrielle Gemeinschaftsforschung” durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages gefördert (Förderkennzeichen: 01IF23103N; Forschungsvereinigung: FQS – Forschungsgemeinschaft Qualität e.V.) Weitere Informationen zum Projekt und zu Beteiligungsmöglichkeiten können über die Geschäftsstelle der FQS bezogen werden. Eine Mitarbeit im Projekt ist auch nach Laufzeitbeginn noch möglich.

Weitere Informationen finden Sie auf der Website des Fraunhofer IPT »

Über die FQS:
Die FQS – Forschungsgemeinschaft Qualität e. V. (FQS) unterstützt seit 1989 die anwendungsorientierte Forschung rund um das Thema Qualität in Deutschland. Sie versteht sich selbst als Forschungsbereich der Deutschen Gesellschaft für Qualität e. V. (DGQ) und wird von ihr getragen. Die FQS fördert innovative Forschungsideen über das Instrument der Industriellen Gemeinschaftsforschung (IGF) und des Forschungsnetzwerks CORNET des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK). Ziele der Förderung sind möglichst anwendungsnahe Forschungsideen, die einen unmittelbaren Nutzen für die Wirtschaft, insbesondere für kleine und mittelständische Unternehmen (KMU), erbringen.

Vorstellung der FQS Forschungsgemeinschaft Qualität e.V. 
Wer ist die FQS Forschungsgemeinschaft Qualität e.V. und was tut sie? Lernen Sie im Video den Forschungsbereich der DGQ kennen und erfahren Sie von Dr. Christian Kellermann-Langhagen, wissenschaftlicher Geschäftsführer der FQS, wie die FQS arbeitet, welche Themen beforscht werden und wie sich Unternehmen in der FQS beteiligen und von den eingesetzten Förderprogrammen profitieren können.

Kontakt:
FQS – Forschungsgemeinschaft Qualität e. V.
August-Schanz-Straße 21A
60433 Frankfurt am Main
infofqs@dgq.de


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