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FQS-Forschungsprojekt NaBeMi: Nachhaltige Betriebsmittelplanung für die manuelle und hybride Montage

FQS Forschungsprojekt NaBeMi

Nachhaltigkeit gewinnt zunehmend an Bedeutung für produzierende Unternehmen – nicht nur als gesellschaftliches Ziel, sondern auch als strategischer Wettbewerbsfaktor. Insbesondere in kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) bestehen jedoch Hemmnisse bei der Umsetzung entsprechender Maßnahmen in der Produktionsplanung. Während ökologische, ökonomische und soziale Aspekte in der Produktentwicklung teilweise berücksichtigt werden, fehlt es in der Betriebsmittelplanung, speziell im Bereich der Montage, häufig an systematischen Ansätzen zur Integration dieser Zielgrößen.

Das über die FQS – Forschungsgemeinschaft Qualität geförderte Forschungsprojekt NaBeMi widmet sich im Rahmen einer zweijährigen Laufzeit der Entwicklung eines digitalen Assistenzsystems, das eine nachhaltigkeitsorientierte Planung von Betriebsmitteln in manuellen und hybriden Montagesystemen ermöglicht. Im Zentrum steht ein ganzheitliches Zielgrößensystem, das klassische Planungsziele wie Zeit, Kosten und Qualität mit den drei Nachhaltigkeitsdimensionen verbindet. Die methodische Grundlage bilden drei miteinander verknüpfte Qualitätsregelkreise zur systematischen Erfassung von Anforderungen, Zielgrößen und möglichen Lösungskonfigurationen (siehe Abb. 1).

Durch die Strukturierung des Planungsprozesses und die Bereitstellung einer IT-gestützten Lösung soll insbesondere KMU der Zugang zu nachhaltiger Betriebsmittelplanung erleichtert und die Planungsqualität langfristig erhöht werden.

Durchführende Forschungseinrichtungen sind das Bremer Institut für Produktion und Logistik (BIBA) sowie das Institut für Fabrikanlagen und Logistik (IFA). Begleitet wird das Projekt von sieben Unternehmen im Projektbegleitenden Ausschuss. Zudem unterstützen die Industrie- und Handelskammer Bremen sowie die Region Hannover das Vorhaben.

Im Interview gibt Dirk Schweers (BIBA) einen Ausblick auf das Projekt und erläutert, wie Unternehmen von den Forschungsergebnissen profitieren können.

Aus welcher Problemstellung heraus ist das Forschungsprojekt entstanden?

Schweers: Bei der Planung neuer beziehungsweise der Umstrukturierung bestehender Betriebsmittel werden die Anforderungen und Ziele in einem Lastenheft gebündelt, um Fremdfirmen mit der Erstellung zu beauftragen. Die Ausgestaltung stützt sich häufig auf bestehende Lösungen, persönliche Erfahrungen oder kurzfristige Wirtschaftlichkeitsaspekte. Die Vielfalt an Anforderungen, die sich aus variierenden Montageaufgaben, Automatisierungsgraden oder organisatorischen Rahmenbedingungen ergeben, werden kaum methodisch erfasst. Die Folge sind für Auftragnehmer schwer verständliche Lastenhefte und erhöhter Kommunikationsaufwand. Für die Auftraggeber entstehen nicht selten suboptimale Investitionen, zum Beispiel durch eingeschränkte Wiederverwendbarkeit von Betriebsmitteln oder verpasste Chancen zur Mitarbeitendenentlastung und Energieeinsparung. Soziale und ökologische Kriterien werden bislang nicht berücksichtigt.

Welches Know-how wird im Rahmen des Forschungsprojekts NaBeMi entwickelt und wie kann es zur Lösung der geschilderten Problemstellung beitragen?

Schweers: Im Projekt NaBeMi wird ein methodisches und technisches Wissen aufgebaut, das auf die Integration von Nachhaltigkeitsaspekten in die Betriebsmittelplanung ausgerichtet ist. Zentraler Bestandteil ist die Entwicklung eines ganzheitlichen Zielgrößensystems. Neben klassischen Kriterien wird es auch soziale, ökologische und ökonomische Wirkungen systematisch abbilden. Um die vielfältigen Zusammenhänge zwischen diesen Zielgrößen sichtbar zu machen, kommen Wirknetze zum Einsatz. Diese ermöglichen es, Abhängigkeiten, Wechselwirkungen und mögliche Zielkonflikte transparent darzustellen und in der Planung zu berücksichtigen.

Das System wird durch eine mehrstufige Methodik operationalisiert, die in Form digitaler Assistenzfunktionen umgesetzt wird. Dazu gehören die strukturierte Anforderungsanalyse, eine Zielgrößenbewertung unter Einbezug der Wirknetze sowie die Generierung und Bewertung von Lösungskonfigurationen für konkrete Betriebsmittelbedarfe. Ergänzt wird dieses methodische Know-how durch ein webbasiertes Software-Tool, das die Anwendung der entwickelten Methoden in der Praxis erleichtert.

Das entwickelte Wissen befähigt insbesondere KMU, fundierte Entscheidungen auf Basis nachvollziehbarer Kriterien zu treffen – unabhängig von individueller Erfahrung. Die Nutzung von Qualitätsregelkreisen trägt dazu bei, die Planungsgüte zu erhöhen und langfristige Wirkungen bereits in frühen Planungsphasen zu berücksichtigen.

Konzept von NaBeMi

Abb.1: Konzept von NaBeMi: Drei miteinander verknüpfte Qualitätsregelkreise zur systematischen Erfassung von Anforderungen, Zielgrößen und möglichen Lösungskonfigurationen.
(© Institut für Fabrikanlagen und Logistik (IFA), Maik Nuebel)

Wer soll von den Ergebnissen profitieren und welcher konkrete Nutzen ergibt sich für Unternehmen?

Schweers: Das Projekt richtet sich primär an kleine und mittlere Unternehmen mit einem hohen Anteil manueller oder hybrider Montagetätigkeiten. Diese Zielgruppe soll durch die entwickelten Methoden und das digitale Assistenzsystem in die Lage versetzt werden, Betriebsmittel systematisch und unter Berücksichtigung nachhaltiger Kriterien zu planen. Dabei profitieren insbesondere Unternehmen, die bisher wenig methodische Unterstützung oder digitale Werkzeuge in der Planung einsetzen konnten.

Der konkrete Nutzen liegt in einer verbesserten Planungsqualität, die über systematische Zielgrößenabwägung, strukturierte Anforderungsdefinition und transparente Entscheidungsgrundlagen erzielt wird. Unternehmen erhalten ein Tool, mit dem nicht nur klassische wirtschaftliche Zielgrößen, sondern auch ökologische und soziale Wirkungen – etwa Ergonomie, Energieverbrauch oder Wiederverwendbarkeit – in die Entscheidungsfindung einfließen können. Darüber hinaus trägt die Methodik zur Entkopplung der Planung von individueller Erfahrung einzelner Fachkräfte bei und ermöglicht eine nachvollziehbare, dokumentierte Ableitung von Investitionsentscheidungen. Neben Effizienzgewinnen und Ressourceneinsparungen können Unternehmen auch Wettbewerbsvorteile realisieren, etwa bei Ausschreibungen mit Nachhaltigkeitskriterien oder im Hinblick auf Arbeitgeberattraktivität durch mitarbeitendenzentrierte Arbeitsplatzgestaltung.

Ein erstes Meinungsbild aus dem Projektbegleitenden Ausschuss über die Potentiale des Assistenzsystems ist in Abb. 2 zu sehen.

Abb. 2: Potenziale des Assistenzsystems für die nachhaltige Planung von Betriebsmitteln
(© BIBA – Bremer Institut für Produktion und Logistik GmbH)

Wie sieht das weitere Vorgehen im Forschungsprojekt aus?

Schweers: Zunächst werden die inhaltlichen Grundlagen der drei Qualitätsregelkreise weiter ausdifferenziert, insbesondere im Hinblick auf funktionale Anforderungen, Zielgrößen und Bewertungsmaßstäbe. Wichtige Impulse hierzu liefern Workshops mit den beteiligten Unternehmen, in denen Anforderungen an Betriebsmittel, relevante Zielgrößen sowie die Gewichtung zentraler Key Performance Indicators (KPIs) diskutiert und abgestimmt werden.

Parallel dazu erfolgt die technische Konzeption des webbasierten Assistenzsystems, welches die entwickelten Methoden für die praktische Anwendung verfügbar macht. In enger Zusammenarbeit mit den Praxispartnern werden die Module des Systems prototypisch umgesetzt und in Anwendungsszenarien getestet. Dabei liegt der Fokus auf der Validierung in realitätsnahen Montagesettings – etwa in der IFA-Lernfabrik oder durch den Projektbegleitenden Ausschuss. Rückmeldungen aus der Praxis fließen systematisch in die Weiterentwicklung ein.

Abschließend erfolgt die vollständige Integration der Einzelkomponenten in das Gesamtsystem sowie eine abschließende Evaluierung hinsichtlich Anwendbarkeit, Nutzbarkeit und Planungsqualität. Ziel ist es, zum Projektende ein praxistaugliches Tool bereitzustellen, das in Unternehmen mit wenigen Anpassungen eingesetzt werden kann – ergänzt um Dokumentationen, Schulungsunterlagen und Handlungsempfehlungen für eine nachhaltigkeitsorientierte Betriebsmittelplanung.

 


Stimmen aus dem Projektbegleitenden Ausschuss:

Dr. Ing. Melvin Isken, Head of IT, cellumation GmbH:

Als junges, innovatives Start-up-Unternehmen aus dem Bereich der Intralogistik sind wir stets daran interessiert, unsere Prozesse nachhaltiger zu gestalten. Die Qualität der Prozesse und Produkte spielt gerade für den Eintritt in neue Märkte eine entscheidende Rolle. Mit unserem Produkt „celluveyor“ stellen wir ein weltweit einzigartiges, hochflexibles, modulares Förder- und Positioniersystem zur Verfügung, welches Unternehmen in einem sich wandelnden Produktionsumfeld die nötige Effizienz und Flexibilität bietet. Die Entwicklung und Montage der einzelnen Module und der Systeme, in denen diese zum Einsatz kommen, geschieht komplett bei uns vor Ort. Im Rahmen von NaBeMi wollen wir unsere Montageprozesse unter sozialen, ökologischen und ökonomischen Nachhaltigkeitskriterien qualitativ verbessern.

 

Über den Interviewpartner:

Dirk Schweers, Senior Research Associate, BIBA – Bremer Institut für Produktion und Logistik GmbH


Über das Forschungsprojekt: 
Das Projekt wird im Rahmen des Programms “Industrielle Gemeinschaftsforschung” durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages gefördert (Förderkennzeichen: 01IF23363N; Forschungsvereinigung: FQS – Forschungsgemeinschaft Qualität e.V.)

Weitere Informationen zum Projekt und zu Beteiligungsmöglichkeiten können über die Geschäftsstelle der FQS bezogen werden. Eine Mitarbeit im Projekt ist auch nach Laufzeitbeginn noch möglich.

Über die FQS:
Die FQS – Forschungsgemeinschaft Qualität e. V. (FQS) unterstützt seit 1989 die anwendungsorientierte Forschung rund um das Thema Qualität in Deutschland. Sie versteht sich selbst als Forschungsbereich der Deutschen Gesellschaft für Qualität e. V. (DGQ) und wird von ihr getragen. Die FQS fördert innovative Forschungsideen über das Instrument der Industriellen Gemeinschaftsforschung (IGF) und des Forschungsnetzwerks CORNET des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK). Ziele der Förderung sind möglichst anwendungsnahe Forschungsideen, die einen unmittelbaren Nutzen für die Wirtschaft, insbesondere für kleine und mittelständische Unternehmen (KMU), erbringen.

Vorstellung der FQS Forschungsgemeinschaft Qualität e.V. 
Wer ist die FQS Forschungsgemeinschaft Qualität e.V. und was tut sie? Lernen Sie im Video den Forschungsbereich der DGQ kennen und erfahren Sie von Dr. Christian Kellermann-Langhagen, wissenschaftlicher Geschäftsführer der FQS, wie die FQS arbeitet, welche Themen beforscht werden und wie sich Unternehmen in der FQS beteiligen und von den eingesetzten Förderprogrammen profitieren können.

Kontakt:
FQS – Forschungsgemeinschaft Qualität e. V.
August-Schanz-Straße 21A
60433 Frankfurt am Main
infofqs@dgq.de


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