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DIN ISO 30401:2021 Wissensmanagementsysteme – Eine Einführung

Wissensmanagementsysteme

Verwandtschaftsverhältnisse

Im Frühjahr 2021 ist die DIN ISO 30401:2021 Wissensmanagementsysteme – Anforderungen veröffentlicht worden. Damit ist die entsprechende internationale Norm ISO 30401:2018 ins deutsche Normenwerk übernommen worden. Durch die ISO 30401:2018 ist erstmalig das Thema Wissensmanagement in Stil und Form einer ISO-Norm des Typs A ausbuchstabiert worden. Dies bedeutet, dass das Dokument nicht Leitlinien, Hinweise oder Hilfestellungen bereitstellt, sondern spezifische Anforderungen für Organisationen festlegt. Zudem richtet sich die Norm an der High Level Structure (HLS) aus. Die HLS ist ein ISO Template mit dem Normen nach einem einheitlichen strukturellen Aufbau erstellt werden, um die Kompatibilität zwischen diesen Normen zu erhöhen. Die bekannteste ISO-Norm des Typs A ist die DIN EN ISO 9001:2015 Qualitätsmanagementsysteme – Anforderungen.

Der Hinweis auf diese zunächst formale Verwandtschaft der Normen für Qualitäts- und Wissensmanagement eröffnet eine Tür zur inhaltlichen Erläuterung der DIN ISO 30401:2021. Weite Passagen der DIN ISO 30401:2021 werden Kenner*innen der DIN ISO 9001:2015 sehr bekannt vorkommen, da beide Dokumente aus derselben Quelle (der HLS) schöpfen. Insbesondere die Kapitel 5-10 der DIN ISO 30401:2021 mit Themen wie Führung, Planung, Unterstützung, Betrieb, Evaluierung und Verbesserung folgen dem bewährten ISO-Managementansatz.

Die für Wissensmanagement spezifischen Anforderungen finden sich überwiegend in Kapitel 4 „Kontext der Organisation“ und dort wiederum insbesondere in den (Unter-)Kapiteln „4.3 Festlegung des Anwendungsbereichs des Wissensmanagements“ und „4.4 Wissensmanagementsystem“. Daher kann sich eine einführende Erläuterung wichtiger Anforderungen der DIN ISO 30401 primär auf diese Textpassagen beziehen.

Hintergrundwissen

Zum Verständnis der spezifischen Anforderungen für Wissensmanagement können in einem ersten Schritt Aussagen in den Blick genommen werden, die aus dem informativen Teil des Dokuments stammen (Einleitung und Anhang), und daher nicht den scharfen ISO-Vorgaben zur Formulierung von Anforderungen unterliegen. In der Einleitung des Dokuments sind 8 leitende Grundsätze für den Umgang mit Wissen aufgeführt. Hier wird unter anderem ausgesagt, dass in der Norm Wissen als eine intangible Ressource aufgefasst wird (1), die komplex aufgebaut ist (2) und zumindest im Ursprung immer von Menschen erzeugt wird (3). Des Weiteren wird in den leitenden Grundsätzen mehrfach darauf hingewiesen, dass das Management dieser Ressource nur dann Sinn macht, wenn es dem Zweck und den Zielen der Organisation dient.

Im informativen Anhang A des Dokuments wird auf die Komplexität von Wissen eingegangen. Wissen sollte als ein Spektrum unterschiedlicher Formen und Arten angesehen werden. Dieses Spektrum umfasst Sachverhalte wie verschriftlichte (kodifizierte) Informationen, Regeln und Prozessbeschreibungen genauso wie fachliche Kenntnisse und Fertigkeiten von Mitarbeitenden und deren Erfahrungen, die teilweise unbewusst sind und damit nur implizit der Organisation zur Verfügung stehen. Daraus folgt zweierlei: Erstens bedingt dieses Wissensspektrum, dass Wissensmanagement eine ganze Bandbreite von koordinierten Aktivitäten umfassen muss, um die Ressource in Mehrwert zu übersetzen. Zweitens wird dadurch das Augenmerk auf die Wichtigkeit von Transformationsprozessen gelegt. Die unterschiedlichen Wissensformen und -arten müssen im Rahmen des Spektrums ineinander überführt werden, um den jeweils definierten Zielen, Zwecken und Kontexten zu dienen. Erfahrungsbasiertes Wissen muss also beispielsweise nach Möglichkeit expliziert, visualisiert und verschriftlicht werden, damit ein breiter Kreis an Mitarbeitenden davon profitieren kann. Auch reicht es nicht, Vorschriften, Regeln, Anweisungen oder Lessons Learned aufzuschreiben. Vielmehr ist es integrale Aufgabe des Wissensmanagements dafür zu sorgen, dass dieses kodierte Wissen zu Kenntnissen „in den Köpfen“ der Menschen wird, damit diese effektivere Arbeitshandlungen ausführen und fundiertere Entscheidungen treffen können.

Wissensprektrum nach DIN ISO 30401

Vor diesem Hintergrund wird auch die ISO-Definition von Wissen verständlich:“ 3.25 Wissen: personales oder organisationales Asset, das wirksame Entscheidungen und Handlungen im Rahmen des Kontextes ermöglicht.“ Dabei kann im deutschen Sprachgebrauch für „Asset“ auch der Ausdruck „Ressource“ verwendet werden.

Die Herzkammer der DIN ISO 30401:2021

Das Kapitel „4.4 Wissensmanagementsystem“ enthält den Großteil der für Wissensmanagement relevanten Anforderungen. Diese Anforderungen adressieren drei große Themenbereiche: Wissensflüsse (a), Enabler für Wissensmanagement (b) und Entwicklungsphasen von Wissen (c).

(a) Wissensflüsse. Die Anforderungen zu den Wissensflüssen gehen auf Aktivitäten ein, die die Übermittlung und die Umwandlung von Wissen in der Organisation betreffen. Die Organisation muss sicherstellen, dass

  • Wissen in den Interaktionen der Mitarbeitenden hinreichend erzeugt und ausgetauscht werden kann
  • Wissen adressatenorientiert zugänglich und angemessen repräsentiert ist
  • Wissen aktiv zu neuen Lösungen kombiniert wird
  • Wissen verinnerlicht und in praktische Arbeitshandlungen überführt wird

Diese Anforderungen zu den Wissensflüssen beziehen sich in erster Linie auf das tagtägliche, praktische Arbeiten mit Wissen. Die Organisation muss Rahmenbedingungen schaffen, damit auf dieser operativen Ebene der Umgang mit Wissen funktioniert. Die Organisation kann sich beispielsweise fragen, welche Rahmenbedingungen und Aktivitäten den Fluss von Kundeninformationen aus dem Vertrieb in die Abteilungen für Produktenwicklung oder in die Produktion verbessern. Oder noch konkreter: Wie müssen die Erfahrungen einer Vertrieblerin so aufbereitet werden, dass ein Ingenieur oder eine Fertigungsleiterin brauchbare Erkenntnisse daraus gewinnen kann?

Da es sich bei Wissen (im Wesentlichen) um eine intangible Ressource handelt, die eine starke Bindung an den Faktor Mensch hat, können derartige Wissens-Verarbeitungsprozesse nicht im Sinne eines tangiblen Unternehmensguts direkt gesteuert werden: Die Organisation kann die Mitarbeitenden nicht anweisen, drei Ideen pro Tag zu produzieren. Auch kann sie nicht kontrollieren, ob Erfahrungen tatsächlich vollständig geteilt werden. Daher sind die Gestaltung von förderlichen Faktoren für den Wissensfluss Ziel von Verbesserungsinterventionen.

(b) Enabler des Wissensmanagements: Die Norm fordert, dass sogenannte Enabler in das Wissensmanagementsystem eingebunden sein müssen. Dazu gehören z.B. das Human Resourcing und die IT-Infrastruktur sowie eine förderliche Kultur, in der man keine Angst haben muss, etwas Falsches zu sagen oder einen Fehler zuzugeben. Insbesondere sind aber die bestehenden Arbeitsprozesse die ‚natürliche‘ Umgebung‘, in denen Wissen aufgebaut, geteilt und angewendet werden (oder eben nicht). Diese Enabler sorgen daher nicht nur dafür, dass der Umgang mit Wissen funktioniert, sondern auch, dass Wissensmanagement Teil des betrieblichen Denkens und Handelns ist und in die Wertschöpfungsprozesse nutzbringend integriert wird.

(c) Entwicklungsphasen des Wissens. Die mehrwertproduzierenden Wissensflüsse brauchen nicht nur förderliche Rahmenbedingungen. Die Ressource Wissen muss systematisch und zweckgebunden bewirtschaftet werden. Die Norm legt daher Anforderungen fest, die den Erwerb, die Nutzung und die Sicherung von Wissen betreffen sowie den Umgang mit veraltetem Wissen. Wissen wird hier aus einer übergeordneten Perspektive betrachtet. Es stellen sich Fragen wie: Benötigen wir für eine neue Technologie, für einen neuen Markt oder veränderte Kundenbedarfe neues Wissen? Kommen Probleme auf die Organisation zu, wenn wichtige Mitarbeitende ihr Wissen mit in Rente nehmen? Sind bestehende Wissensbestände überholt, weil sich rechtliche Vorgaben verändert haben?

Die Organisation muss derartige Managementfragen normgerecht immer unter einem strategischen Blickwinkel stellen, indem Informationen von internen und externen Stakeholdern sowie dem Kontext, den Geschäftszielen und dem Zweck der Organisation eingearbeitet werden. Dies sorgt dafür, dass die daraus abgeleiteten Aktivitäten Sinn und Richtung haben und einen ausweisbaren Nutzen für die Organisation bringen. Die Norm fordert von der Organisation also, den gegenwärtigen Wissensbestand zu bilanzieren und dann strategisch zu entscheiden, was in Zukunft notwendig sein wird, damit der wertschöpfende Umgang mit Wissen in Fluss bleibt bzw. kommt.

Fazit und Perspektiven

Wissensmanagement wird in der DIN ISO 30401:2021 als ein Managementsystem aufgefasst, mit dem die intangible Ressource Wissen systematisch in greifbaren Mehrwert umgewandelt werden kann. Die strukturelle Ähnlichkeit mit bewährten ISO-Normen senkt die Hemmschwelle für Betriebe, Wissensmanagement ins Haus zu holen. Zudem liegt seit August 2021 die DIN SPEC 91443:2021 Systematisches Wissensmanagement für KMU – Instrumente und Verfahren vor. In dieser kostenfreien Publikation wurden viele Anforderungen der DIN ISO 30401 verarbeitet und mit in Deutschland bekannten und erprobten Modellen kombiniert. Sie bietet daher einen sehr niederschwelligen Einstieg in das Thema systematisches Wissensmanagement.

Pawlowsky, P.; Pflugfelder, N. S.; Wagner, M. H. (2021), The ISO 30401 Knowledge Management Systems Standard – A new framework for value creation and research? Journal of Intellectual Capital 22 (3). P. 506-527.


Über den Autor:

Dr. Maik H. WagnerDr. Maik H. Wagner ist Managing Partner des Instituts für Wissensökonomie sowie Inhaber von MW Wissenskommunikation. Er ist Dozent an der Rheinischen Fachhochschule Köln im Masterstudien Digital Transformation Management. Er ist DIN/ISO-Experte für die Themen knowledge, competence sowie learning&development. Er war Konsortialleiter für die Erstellung der DIN SPEC 91443:2021 Systematisches Wissensmanagement für KMU – Instrumente und Verfahren.

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