Der neue VDA 6.3:2023 Fragenkatalog – praktische Betrachtungsweise
In einer zunehmend globalisierten Welt ist die Effizienz und Zuverlässigkeit der Lieferkette für Unternehmen von entscheidender Bedeutung. Angesichts der wachsenden Unsicherheit und der Vielzahl von Risiken, denen das produzierende Gewerbe ausgesetzt ist, gewinnen Prozessaudits hauptsächlich in der Lieferantenentwicklung eine immer größere Bedeutung.
In diesem Artikel diskutieren wir über die Neuerungen und praktischen Erfahrungen des neuen VDA 6.3: 2023 Fragenkataloges für Prozessaudits, des VDA QMC, der als einer der wichtigsten Standards für die Auditierung von Prozessen in der Automobilindustrie gilt.
Hintergrund und aktuelle Situation
Mit dem neuen Fragenkatalog für Prozessauditoren hat es der VDA QMC geschafft, dass Prozessaudits den aktuellen Anforderungen und Entwicklungen in der Industrie gerecht werden. Durch die Berücksichtigung von Aspekten wie dem Stand der Technik in der Produktionstechnologie, der gestiegenen Softwareanforderungen in Produkten und Prozessen und der immer wichtiger werdenden Stabilität in der Lieferkette wird der Fragenkatalog relevanter und effektiver für Unternehmen aller Branchen.
Hauptunterschiede zum VDA 6.3:2016
Der neue Fragenkatalog zeichnet sich durch einige wesentliche Änderungen gegenüber der Version 2016 aus:
- Stärkerer Fokus auf Risikomanagement:
Der Katalog legt nun ein höheres Augenmerk auf die Implementierung eines effektiven Risikomanagementsystems. - Einbeziehung von Softwareaspekten:
Software-bezogene Fragestellungen wurden in den Katalog integriert, um die Bedeutung von Software in der Automobilindustrie widerzuspiegeln. - Fokus auf Beschaffungsaktivitäten:
Die Aktivitäten aus der Beschaffung finden jetzt einen erhöhten Fokus bereits in der Planungsphase des Projektes. - Anpassung der Bewertung der Potenzialanalyse:
Die Bewertungssystematik der Potenzialanalyse wurde verschärft und die Fragen teilweise neu strukturiert, um eine klarere Bewertung der Verbesserungspotenziale zu ermöglichen. - Neuzuordnung der Stern-Fragen:
Die Stern-Fragen (mit “*”, gekennzeichnet) wurden teilweise neu zugeordnet, um die Relevanz für verschiedene Unternehmensbereiche zu verbessern.
Auswirkungen auf die Auditpraxis
Die Einführung des neuen VDA 6.3:2023-Fragenkatalogs markiert einen bedeutenden Wendepunkt in der Auditpraxis, der sich in vielfältigen Veränderungen niederschlägt. Diejenigen, die täglich mit Audits zu tun haben, werden diese Veränderungen spüren.
Ein erhöhter Zeitaufwand für die Vorbereitung ist eine der ersten sichtbaren Auswirkungen. Auditoren sind nun gefordert, sich intensiv mit den neuen Inhalten und der veränderten Struktur des Katalogs auseinanderzusetzen. Eine gründliche Einarbeitung ist unerlässlich und führt zwangsläufig zu einem gesteigerten Zeitaufwand für die Vorbereitung auf ein Audit. Zumindest in der ersten Zeit der Anwendung des neuen Kataloges.
Die Anpassung der Auditmethoden ist eine weitere Herausforderung, der sich Auditoren stellen müssen. Die neuen Fragestellungen im Katalog erfordern teilweise eine Überarbeitung der bisherigen Methoden und Werkzeuge. Themen wie Risikomanagement und Softwareentwicklung rücken verstärkt in den Fokus und verlangen nach entsprechenden Anpassungen, um die geforderten Inhalte umfassend abdecken zu können.
Besonders hervorzuheben ist die Notwendigkeit tieferer Kenntnisse im Bereich Software. Der neue Katalog integriert nun auch softwarebezogene Fragestellungen, die von den Auditoren ein grundlegendes Verständnis von Softwareentwicklungsprozessen und -risiken erfordern. Dies stellt für einige Auditoren eine neue Herausforderung dar. Sie müssen sich in diesem Bereich weiterbilden, um die Fragen kompetent beantworten zu können.
Erste Erfahrungen mit dem neuen Katalog
Aus den ersten Erfahrungen, die mit dem neuen VDA 6.3 Katalog gemacht wurden, lassen sich folgende Beobachtungen festhalten:
Das Feedback der auditierten Unternehmen ist größtenteils positiv. Sie erkennen den Wert der vertieften Betrachtung der bereits erwähnten Themen im neuen Katalog. Diese Erweiterungen werden als bedeutender Schritt zur ganzheitlicheren Bewertung der Unternehmensprozesse wahrgenommen.
Allerdings gibt es auch Herausforderungen, insbesondere im Bereich der Software-Thematik. Für einige Unternehmen stellen die softwarebezogenen Fragen noch eine Hürde dar, da hier oft ein ausreichendes Know-how fehlt. Dies unterstreicht die Notwendigkeit, verstärkt in die Weiterbildung auf diesem Gebiet zu investieren, um den neuen Anforderungen gerecht zu werden.
Positive Rückmeldung erhielt ich zur verstärkten Betrachtungsweise im Bereich Beschaffung. Anstatt erst auf eingetretene Probleme zu reagieren, liegt der Fokus im Fragenkatalog beim proaktiven Risikomanagement auf der Identifizierung und Bewertung potenzieller Risiken bei Lieferanten und Unterlieferanten bereits in der Frühphase eines Projekts. Dies ermöglicht es, präventive Maßnahmen zu ergreifen und so die negativen Auswirkungen von Lieferkettenunterbrechungen, Verzögerungen oder Qualitätsmängeln zu minimieren.
Insgesamt spiegeln die ersten Erfahrungen mit dem neuen Katalog eine Mischung aus Anerkennung für die Weiterentwicklung und Bereitschaft zur Überwindung von Herausforderungen wider. Die Erkenntnisse aus diesen ersten Audits dienen als wichtige Grundlage für die Optimierung und Feinabstimmung des Katalogs in der Zukunft.
Fazit
Der neue VDA 6.3:2023 Fragenkatalog stellt eine sinnvolle Weiterentwicklung des bewährten Standards dar. Die stärkere Fokussierung auf Risikomanagement, die Einbeziehung von Softwareaspekten und Beschaffungsaktivitäten und die verschärfte Bewertungssystematik der Potenzialanalyse tragen zu einer umfassenderen und zielgerichteteren Bewertung von Unternehmensprozessen in der Gegenwart und Zukunft bei.
Über den Autor:
Stefan Peintner ist ein international erfahrener Berater und betreut weltweit strategisch relevante Start-Up-Projekte im Bereich der Elektromobilität. Darüber hinaus unterstützt er als Executive Coach mittelständische Organisationen in Organisationsentwicklungsprojekten und begleitet diese im nationalen und internationalen Standortaufbau.