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Beratungsangebot in der Pflege für Klienten nur schwer zu überblicken

Wer heutzutage in Deutschland Fragen zur Pflege klären möchte, kommt nicht umhin, sich beraten zu lassen. Das Leistungsrecht ist hoch komplex. Laien finden sich ohne Beratung selten zurecht. Die Zahl von über vier Millionen pflegebedürftiger Menschen und mindestens ebenso vieler Angehöriger spiegelt den ungeheuren Bedarf wieder. Tatsächlich hat sich seit Einführung der Pflegeversicherung in den letzten 25 Jahren ein unüberschaubarer Beratungsmarkt entwickelt. Doch wie sieht es mit der Leistungsqualität im Beratungsbereich aus?

Anhand eines fiktiven Fallbeispiels lassen sich die Herausforderungen beleuchten, mit denen alle Ratsuchenden unvermittelt konfrontiert sein können. Sie gelten sowohl für Pflegebedürftige als auch ihre Angehörigen:

Herr und Frau S. sind Rentner und leben gemeinsam in einer Wohnung in Braunschweig. Sie haben zwei erwachsene Kinder, die jeweils mit ihren Partnern an anderen Orten leben und wiederum Kinder haben. Die Großeltern-Generation führt den eigenen Haushalt selbstständig. Gelegentlich kommt ein befreundeter Nachbar, der beim Einkaufen hilft.

Diesem Nachbarn ist zuerst aufgefallen, dass Herr S. sich immer häufiger zurückzieht und die Konzentration bei den gemeinsamen Einkäufen nachlässt. Er wendet sich an die Tochter von Herrn S., die er immer kontaktiert, wenn etwas im Zusammenhang mit den Eltern zu besprechen ist. Er schildert ihr seine Beobachtungen und gemeinsam beschließen sie, sich auf die Suche nach Informationen für Unterstützung zu machen. Außerdem will die Tochter bei ihrem nächsten Besuch gemeinsam mit dem Vater die Hausärztin aufzusuchen.

Bei dem Arzttermin ergibt sich, dass Herr S. an einer leichten kognitiven Beeinträchtigung leidet. Die Ärztin empfiehlt Gedächtnistraining und verschreibt ein Medikament. Außerdem überweist sie Herrn S. zur Abklärung einer möglichen seelischen Beeinträchtigung an einen Psychiater.

Frau S. hat sich zwischenzeitlich im Freundeskreis umgehört. Dort gibt es einige Familien, die vor ähnlichen Herausforderungen stehen. Die haben teilweise Hilfe angefordert und auch Unterstützung erhalten. Eine Freundin rät ihr, sich an die örtliche Diakonie zu wenden.

Wer sucht nach Informationen?

Der beispielhafte Fall macht deutlich, wer das Beratungsklientel in der Pflege ist. Es handelt sich sehr häufig um die Menschen, die mit einem potenziell oder tatsächlich pflegebedürftigen Menschen in enger Verbindung stehen, seltener um die betroffene Person selbst. Diese Verbindung kann wie im Falle der Tochter familiär sein, sich aber auch aus nahen nichtfamiliären Kontakten ergeben. Darüber hinaus gibt es institutionelle, professionelle Ratsuchende. Dazu ist die Ärztin zu zählen, wenn sie nach der Begutachtung des Herrn S. nach geeigneten Unterstützungsmöglichkeiten für ihren Patienten in der Pflege suchen würde.

Wo gibt es Rat?

Wer pflegebedürftig ist, hat einen gesetzlichen Anspruch auf Leistungen aus der Pflegeversicherung. Aber wie kommen Menschen eigentlich dazu, diese Ansprüche zu kennen? Woher wissen sie überhaupt, dass sie pflegebedürftig sind? Vielen Menschen ist zwar bewusst, dass das Gemeinwesen sie im Falle der Bedürftigkeit nicht im Stich lässt. Doch ohne Kenntnis des Sozialrechts hat wohl kaum jemand eine Vorstellung von Art und Umfang der Angebote, die der Staat bereithält.

Das gilt auch für die Pflege. Wobei selbst dieser Begriff viele Bedeutungen hat und im Sozialrecht eine eigene Definition erfahren hat. Sie ist gleichzusetzen mit Langzeitpflege, also wenn ein Pflegebedarf über einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten bei Herrn S. vorliegen würde. Pflegerische Leistungen werden allerdings auch in anderen Bereichen erbracht, allen voran im Krankenhaus, aber auch in Reha-Einrichtungen, in Institutionen zur Förderung der Teilhabe, bei niedergelassenen Ärzten und Therapeuten oder im Hospiz. Damit sind Schnittstellen benannt, die bei der Beratung berücksichtigt werden müssen und bei Unterstützungsleistungen eine Rolle spielen können.

Frau S. hat im vorliegenden Beispiel den Rat erhalten, sich an die regionale Diakonie zu wenden. Die Diakonie ist ein Wohlfahrtsverband und unterhält wie andere gemeinnützige Verbände Beratungseinrichtungen. Dort kann man sich zu sozialen Fragen informieren. Frau S. würde zum Beispiel einen Termin bei einer Sozialstation der Diakonie vereinbaren und dort im Gespräch klären, welche Ansprüche und Leistungen sich aus der Situation ihres Ehemannes ergeben. Sozialstationen, respektive Pflegestationen, sind in der Beratung zur Pflege ein zentrales Element. Sie verfügen über das Know-how zu Leistungsansprüchen aus der gesetzlichen Pflegeversicherung und haben gleichzeitig die fachliche Expertise, situationsgerechte Informationen und sogar Pflegeleistungen anzubieten. Das ist aber gleichzeitig auch ihr Nachteil, denn sie halten nur Informationen zur Langzeitpflege vor.

Bedarfssituationen können jedoch vielschichtiger sein und die Ansprüche über Pflegeleistungen hinausgehen. Wenn in unserem Beispiel die Großeltern nur über eine sehr geringe Rente verfügen würden, so müsste möglicherweise zusätzlich auch die Sozialhilfe-Versicherung für die Leistungserbringung eintreten. Aber ob das so ist und welche Ansprüche und Leistungen sich insgesamt ergeben, muss gemeinsam mit Familie S. geklärt werden. Dazu ist von den Beratenden allerdings auch mehr Expertise erforderlich, als für die Leistungsermittlung aus der Pflegeversicherung.

Der Gesetzgeber hat auf dieses Informationsdilemma reagiert und die Kranken- und Pflegekassen dazu verpflichtet, ihren Versicherten eine übergeordnete soziale Beratung anzubieten. Die Kassen führen diese Beratung häufig nicht selbst durch, sondern richten gemeinsam sogenannte Pflegestützpunkte ein. Sie unterliegen Landesrecht und sind daher nicht bundesweit einheitlich ausgestattet. Aber das Ziel der dort durchgeführten Beratungen ist immer die Erstellung eines individuellen Versorgungsplans. In dem sollten alle Maßnahmen aufgeführt sein, die zur Sicherung der Gesundheit von Herrn S. durch soziale Leistungen zu erbringen sind.

Ob Herr S. tatsächlich Anspruch auf Leistungen hat, die von der Pflegeversicherung übernommen werden, wird durch eine weitere öffentliche Institution geprüft und festgestellt. Es handelt sich um den sogenannten Medizinischen Dienst, der ebenfalls von den Kassen organisiert wird. Sobald dort ein Antrag eingeht, bei Herrn S. das Vorliegen der Pflegedürftigkeit festzustellen, wird dieser Dienst tätig. Die Überprüfung der Voraussetzungen kann wiederum selbst eine Beratung darstellen, indem die Prüfer Hinweise zur Verbesserung der gesundheitlichen und gegebenenfalls der pflegerischen Situation von Herrn S. geben.

Wie stellt man gute Beratung fest?

Um es vorweg zu nehmen: Eine flächendeckende externe Qualitätssicherung der Pflegeberatung nach einheitlichen Standards gibt es nicht (Braeseke et al. 2018). Maßstäbe und Vorgaben für die Erfüllung der Beratungsaufgaben in Pflegestützpunkten sind zum Beispiel in Rahmenverträgen zwischen Bundesländern und Kassen geregelt. Der Fokus liegt in den Ländern auf unterschiedlichen Qualitätskriterien, mal ist es die Qualifikation der Beratenden, mal die Dokumentation und anderswo die Evaluation der Aufgabenerfüllung.

Bei der originären Pflegeberatung nach §37 Absatz 3 der Pflegeversicherung sieht es ähnlich aus. Dort gibt es Empfehlungen, die von Leistungsträgern und -erbringern ausgehandelt werden. Sie beziehen sich auf die Voraussetzungen, die nach deren Dafürhalten für gute Beratungsqualität stehen. Außerhalb dieser durch die Kassen finanzierten Beratungsleistungen finden sich kaum Beispiele für eine abgestimmte Qualitätssicherung oder eine unabhängige Beurteilung der Beratungsgüte im Pflegesektor.

Wer digitale oder analoge Beratungsangebote in der Pflege nutzt, erwartet umfassende Informationen zur persönlichen Bedarfssituation. Die ist von einer Vielzahl von Faktoren abhängig und verändert sich über die Zeit. Wenn bei Herrn S. zu Beginn nur Konzentrationsprobleme vorliegen, so können das erste Anzeichen einer beginnenden größeren Beeinträchtigung sein. Der Unterstützungsbedarf ändert sich radikal, wenn sich daraus eine schwere Demenz entwickelt. Von einer guten Beratung müsste man daher erwarten, dass sie auf Basis einer profunden Ist-Analyse auch einen scharfen Blick in die Zukunft wirft und dazu möglichst realistische und gleichzeitig individuelle Unterstützungsszenarien erstellt. Familie S. möchte wissen, was möglich und notwendig ist und was ihnen an Leistungen zusteht. Sie wollen aber auch eine einigermaßen verlässliche Prognose haben, um die Versorgung von Herrn S. planbar zu machen.

Aber selbst eine gestandene Fachkraft wird bei der Beratung an ihre Grenzen kommen, wenn es um die Vielzahl der sozialrechtlichen Regelungen zu Leistungsansprüchen geht. Ohne eine entsprechende Zusatzqualifikation, zum Beispiel zur Beratung nach §37.3 SGB XI, ist die Expertise lückenhaft und birgt die Gefahr, dass das Beratungsergebnis darunter leidet. Das heißt auch, dass für eine gute Beratung, die das gesetzliche Leistungsportfolio einbezieht, die Einhaltung von Formalien wichtig ist. Neben der entsprechenden Qualifikation der Beratenden gehört dazu auch die Nutzung der einschlägigen Erhebungs- und Auswertungsinstrumente.

Diese Voraussetzungen sind bei digitalen Beratungs- und Informationsdiensten in der Regel nicht gegeben. Sie sind nützlich, wenn es um allgemeine Fragestellungen zu den Sozialversicherungen geht. Aber bei der ausschließlichen Nutzung digitaler Beratungsangebote läuft man als Laie Gefahr, wichtige Aspekte der Versorgung und die damit verbundenen Fragen zu übersehen. Um bei dem eingangs beschriebenen Beispiel zu bleiben, gibt es für die Familie von Herrn S. im Falle der Pflegebedürftigkeit nämlich zahlreiche Möglichkeiten, die für Entlastung sorgen können. Das reicht von Haushaltshilfen über Beschäftigungsangebote für Herrn S. bis hin zu vorübergehenden Aufenthalten in teilstationären oder stationären Einrichtungen. Was davon sinnvoll ist und welche Angebote Herrn S. und seiner Familie tatsächlich zusagen, lässt sich gemeinhin am Besten im Gespräch mit Experten klären.

Wer prüft das Angebot?

Die Qualitätssicherung von Beratungsstellen zur Pflege obliegt den Bundesländern, sofern sich die Beratungsleistung aus einem Sozialgesetz ergibt. Die Vorgaben sind wie oben dargestellt unterschiedlich und werden für die Beratung nach §7a SGB XI, die das Aufstellen eines Versorgungsplanes beinhaltet, in Rahmenvereinbarungen mit den Erbringern der Beratungsleistungen geregelt. Bei einigen Anbietern von Beratungsdiensten gibt es selbstentwickelte Standards, anhand derer eine interne Qualitätssicherung stattfindet. Grundsätzlich fehlt eine bundesweite Agenda zur Qualitätssicherung unter Beteiligung von Vertretern von Pflegebedürftigen, Patienten und ihren Angehörigen.

Empfehlungen für die Pflegeberatung

In einer konkreten Bedarfssituation ist es aus Sicht der Beratungsklienten wichtig, sich im Voraus über die Ziele der Informationssuche klar zu werden. Andernfalls droht Frustration, wenn man Opfer der Informationsflut wird oder sich im Laufe der Beratung immer neue Fragen stellen. Bei der Suche nach Beratungsangeboten ist der individuelle Kenntnisstand zu berücksichtigen. Gelegentlich können virtuelle Beratungs- und Informationsangebote hilfreich sein, aber zu Beginn einer Versorgungshistorie ist das Aufsuchen einer möglichst umfassenden Beratungsinstanz zu empfehlen. Das ist das Angebot nach §7a des elften Sozialgesetzbuches, wie es von Pflegestützpunkten, aber auch von anderen entsprechend qualifizierten Stellen, erbracht wird.

Für den Beratungsnehmer ist die Qualität der Leistung schwer zu beurteilen. Zwar gibt es im Falle der Beratungen, die gesetzlich finanziert sind, ein gewisses Maß an Vorgaben. Aber die haben zum Teil Empfehlungscharakter, sind auf Länderebene unterschiedlich geregelt oder finden sich nicht flächendeckend in ausreichender Zahl. Noch unübersichtlicher sieht es bei den nicht über Gesetze geregelten Beratungsleistungen aus.

  • Wird die Beratung auf Grundlage der Sozialgesetzgebung erbracht? Dazu gehören für die Langzeitpflege (SGB XI) vor allem die Paragraphen 7a „Pflegeberatung“, 37.3 „Beratung in der eigenen Häuslichkeit“, 45 „Pflegekurse für Angehörige und ehrenamtliche Pflegepersonen“ sowie die Erweiterung des Paragraphen 7a um digitale Pflegeberatungen im Zuge der Umsetzung des Digitale-Versorgungs-und-Pflege-Modernisierungs-Gesetzes (DVPMG) ab 2021,
  • und ist die Leistung daher auch kostenfrei?
  • Ist die Beratungsumgebung neutral und zielt die Beratung nicht einseitig auf den Vertrieb privater Leistungen ab?
  • Herrscht Offenheit bezüglich Finanzierung der Beratungsleistung und der Trägerschaft des Angebotes sowie der fachlichen Qualifikation der Beratenden?
  • Berücksichtigt die Beratung die persönlichen Umstände und liefert sie daraus abgeleitete Perspektiven?
  • Ist die Beratungsatmosphäre von Respekt und Zugewandtheit geprägt?
  • Erfolgt die Evaluation der Beratungsleistung gemeinsam mit den Beratungssuchenden?
  • Werden die Standards zur Sicherung besonders vertraulicher Daten berücksichtigt?