Auditmethoden in der Fertigung – drei praxisnahe Wege zu mehr Qualität und Prozesssicherheit

Die zentrale These dieses Artikels ist, dass die produzierende Industrie gewaltige kooperative Netzwerke aufbaut, aber die Produktqualität dadurch nicht besser geworden ist. Die große Menge an Daten und Wissen suggeriert große Kontrolle. Es handelt sich aber oft um „shit in, shit out“ Systeme. Schlechte Datenqualität führt zu schlechten Entscheidungsvorlagen.
Man geht davon aus, dass große Netzwerke mehr Informationen sammeln und verarbeiten können. Die Validität der Daten ist aber nicht immer gegeben.
In der Qualitätssicherung vermitteln Simulationen, CAQ – Systeme und KI ein Gefühl der Sicherheit, weshalb oft die Prävention und Ursachenanalyse am Shop Floor zu kurz kommt.
Die Rückbesinnung auf bewährte Methoden am Ort des Geschehens ermöglicht es jedoch potenzielle Schwachstellen frühzeitig zu erkennen, Prozesse kontinuierlich zu verbessern und die Mitarbeitenden aktiv in die Qualitätssicherung einzubinden.
Genau hier setzen praxisnahe Auditmethoden an. Richtig verstanden und angewendet, sind sie ein wertvolles Werkzeug, um die reale Prozessleistung zu prüfen, Schwachstellen frühzeitig zu erkennen und Mitarbeitende aktiv in die Qualitätsarbeit einzubinden.
Drei Ansätze haben sich in der Praxis besonders bewährt: die Reverse FMEA, der Poka-Yoke Walk und die Kamishibai-Methode. Trotz unterschiedlicher Herangehensweisen verfolgen sie alle dasselbe Ziel: Fehler vermeiden, Prozesse stabilisieren und das Qualitätsbewusstsein im Unternehmen nachhaltig stärken.
Audits als Bindeglied zwischen System und Realität
Viele Unternehmen verfügen heute über ausgefeilte Qualitätsmanagementsysteme. Doch die Erfahrung zeigt, dass Papier geduldig ist und Prozesse im Alltag oft anders laufen, als sie im Handbuch beschrieben stehen. Zwischen Soll und Ist klafft eine Lücke, die in der Hektik des Tagesgeschäfts leicht übersehen wird. Gerade in Zeiten zunehmender Automatisierung und komplexer Lieferketten ist es entscheidend, regelmäßig zu prüfen, ob geplante Maßnahmen tatsächlich funktionieren und ob sie von den Mitarbeitenden verstanden und gelebt werden. Hier entfalten Audits ihren größten Wert: Sie machen Qualität sichtbar, erlebbar und überprüfbar – direkt am Ort des Geschehens. Richtig umgesetzt, sind Audits keine Kontrollinstanz, sondern ein Werkzeug, um Schwachstellen zu erkennen, Standards zu festigen und die Motivation der Mitarbeitenden zu stärken. Durch gezielte Fragen, strukturierte Beobachtungen und offene Gespräche wird die Wirksamkeit von Prozessen überprüft. Gleichzeitig fördern Audits den Dialog zwischen Shopfloor, Planung und Management. So entsteht ein echtes Verständnis für Qualität – nicht als abstraktes Ziel, sondern als gelebter Bestandteil des täglichen Handelns.
Reverse FMEA – die FMEA rückwärts gedacht
Die Reverse FMEA, also die umgekehrte Fehlermöglichkeits- und Einflussanalyse, ist eine Weiterentwicklung der klassischen Prozess-FMEA. Während die traditionelle FMEA Risiken und Fehlermöglichkeiten theoretisch bewertet, prüft die Reverse FMEA diese Annahmen direkt vor Ort. Ziel ist es, den Unterschied zwischen Planung und Realität zu erkennen und zu schließen. Die Methode hilft dabei, die in der FMEA dokumentierten Prozessrisiken und Annahmen mit den tatsächlichen Abläufen abzugleichen. Dabei werden Abweichungen, unerkannte Risiken oder nicht wirksame Maßnahmen frühzeitig sichtbar.
Ein Beispiel aus der Automobilindustrie zeigt, wie wertvoll diese Methode ist. Bei der Montage einer Lenkeinheit wurde in der Prozess-FMEA angenommen, dass das Anzugsmoment der Schrauben durch ein automatisches Schraubsystem kontrolliert wird. Vor Ort stellte sich jedoch heraus, dass bei einem bestimmten Modell die Schrauben manuell nachgezogen werden mussten, weil das automatisierte Werkzeug aufgrund beengter Platzverhältnisse nicht korrekt arbeiten konnte. Diese Abweichung war in der ursprünglichen FMEA nicht berücksichtigt worden. Erst die Reverse FMEA brachte den Sachverhalt ans Licht. Der Prozess konnte angepasst, das Werkzeug optimiert und die Prozessbeschreibung aktualisiert werden. Dieser Fall zeigt, wie Theorie und Praxis durch eine einfache, aber wirksame Methode wieder in Einklang gebracht wurden.
Ein weiterer Vorteil dieser Methode ist, dass sie die Kommunikation fördert. Das interdisziplinäre Team aus Mitarbeitenden der Fertigung, Qualität, Prozessplanung und Entwicklung analysiert gemeinsam den realen Prozess. Dabei werden nicht nur Risiken erkannt, sondern auch Verbesserungspotenziale entdeckt. Die Ergebnisse fließen anschließend zurück in die Prozess-FMEA, die auf dieser Grundlage aktualisiert wird. So bleibt das Dokument lebendig und verliert nicht seine Relevanz. Am Ende steht eine verlässliche, realitätsnahe Bewertung des Prozesses – und ein klarer Beitrag zur Steigerung der Produktqualität und Kundenzufriedenheit.
Poka-Yoke Walk – Fehlersicherheit auf dem Prüfstand
Das japanische Konzept Poka Yoke, was übersetzt so viel bedeutet wie „Fehler vermeiden“, ist ein fester Bestandteil moderner Produktionssysteme. Ziel ist es, durch einfache, aber intelligente Vorrichtungen oder Mechanismen Bedienfehler zu verhindern. Doch auch das beste Poka-Yoke-System verliert seinen Wert, wenn es nicht regelmäßig überprüft wird. Hier kommt der sogenannte Poka-Yoke Walk ins Spiel. Bei dieser Methode wird direkt am Arbeitsplatz kontrolliert, ob die installierten Fehlervermeidungsmechanismen tatsächlich wirksam sind.
Ein interdisziplinäres Team führt vor Ort Tests durch, um sicherzustellen, dass Sensoren, Prüfeinrichtungen oder mechanische Sicherungen korrekt funktionieren. Dazu gehört auch, gezielt Fehlerszenarien zu provozieren – zum Beispiel durch den Einsatz eines fehlerhaften Bauteils, des sogenannten „Red Rabbit“. Reagiert das System korrekt, gilt die Absicherung als wirksam; bleibt die Reaktion aus, ist sofort klar, dass Handlungsbedarf besteht.
Der Poka-Yoke Walk lässt sich gut in bestehende Auditsysteme integrieren, etwa in Kamishibai-Audits oder Layered Process Audits. Sein Nutzen liegt in der direkten Verbindung zwischen Theorie und Praxis. Es geht nicht um das Abhaken von Checklisten, sondern um ein echtes Verständnis der Prozessabsicherung. Das Ergebnis ist ein messbarer Beitrag zur Prozesssicherheit und zur Reduzierung von Qualitätskosten. Gleichzeitig entsteht eine stärkere Verknüpfung zwischen Fertigung, Planung und Qualitätsmanagement – eine Grundvoraussetzung für nachhaltige Qualitätssicherung.
Kamishibai – visuelles Lernen und Auditieren nach japanischem Vorbild
Kamishibai, ursprünglich ein japanisches Papiertheater, wurde im Toyota Production System zu einem wirksamen Werkzeug für Führung und Qualitätssicherung weiterentwickelt. Die Methode basiert auf visuellen Checkkarten, die regelmäßig zu überprüfende Aufgaben oder Auditschritte darstellen. Jede Karte steht für eine bestimmte Prüfung und beantwortet die Fragen: Wer prüft was, wann, wo, warum und wie? Nach der Durchführung wird die Karte umgedreht oder markiert – ein einfaches, aber wirkungsvolles Signal, dass die Aufgabe erledigt wurde. Das Kamishibai-Board hängt gut sichtbar in der Produktion, meist in unmittelbarer Nähe zum Arbeitsplatz. So können alle Beteiligten auf einen Blick erkennen, welche Prüfungen erfolgt sind, welche noch ausstehen und wo Handlungsbedarf besteht.
Kamishibai-Audits fördern eine Kultur der Transparenz und Verantwortung. Da die Aufgaben klar definiert und für alle sichtbar sind, steigt die Verbindlichkeit. Führungskräfte können ihre Gemba-Walks strukturiert durchführen und sich gezielt auf die zentralen Prozesse konzentrieren. Die Methode standardisiert nicht nur das Auditverhalten, sondern fördert auch die Kommunikation zwischen Management und Mitarbeitenden. So wird Qualität weniger als Kontrollfunktion wahrgenommen, sondern als gemeinsamer Lernprozess. Das Kamishibai-System stärkt damit die Kaizen-Kultur – also den kontinuierlichen Verbesserungsprozess – auf einfache, visuelle und praxisnahe Weise.
Über den Autor:
Andreas Greb bekleidet seit mehr als 20 Jahren leitende Rollen in der Automobilindustrie, u.a. als Direktor QM, Werks- und Einkaufsleiter, u.a. bei VISTEON, AAM und Neapco. Seine Kenntnisse umfassen ISO-Standards, IATF 16949 und TISAX, sowohl aus operativen Sicht wie auch als Auditor. Als strategischer Einkäufer und Projektmanager leitete er weltweit komplexe Projekte und Produkteinführungen. Er ist Inhaber der “Andreas Greb Consulting” in Kreuzau bei Düren.
