1. September 2017
DGQ Regionalkreis Hannover am 28.8.2017: Agile Methoden im Qualitätsmanagement
Dialog zwischen Dipl.-Ing. Isabelle Ayere (Qualitätsmanagerin, Teamgestalterin, Trainerin für agile Methoden, Mitstreiterin im DGQ-Fachkreis Wissensmanagement) und Kai-Uwe Behrends (Geschäftsstelle Hamburg der DGQ) anlässlich einer Regionalkreisveranstaltung in Hannover zu ‚Agilen Methoden im QM‘
KB: In Veröffentlichungen und Veranstaltungsprogramm der DGQ findet sich immer häufiger ‚agiles‘. Viele aus der QMunity assoziieren mit agil eher Planlosigkeit, geringe Verlässlichkeit bis hin zur Rechtsunsicherheit, fehlende Dokumentation. Viele ‚Ädscheils‘ denken bei QM an ritualisierte Formal-Prozeduren, Starrheit, theoretische Perfektion und praktische Nutzlosigkeit. Wer hat Recht?
IA: Im Erleben wird das Trennende oft sehr stark wahrgenommen. Dabei haben beide Kulturen sehr viel gemeinsam. Man kann nicht gut von einer Gegenbewegung sprechen, eher von Wechselwirkungen. QM ist vor 20/30 Jahren angetreten mit vielen Inhalten, die mit der üblichen formalen Praxis eher in den Hintergrund getreten sind und nun durch agile Methoden wieder hervorkommen.
KB: Agiles Manifest und QM-Grundsätze sind also miteinander vereinbar?
IA: Ganz klar: Ja! Das agile Manifest sagt ja, Individuen und deren Interaktionen seien mehr zu schätzen als die ihnen dienenden Prozesse und Werkzeuge. Funktionierende Produkte mehr als deren umfassende Dokumentation, die konstruktive Zusammenarbeit mit dem Kunden mehr als die formalen Vertragsverhandlungen, Reagieren auf Veränderung mehr als das Befolgen eines Plans. Das müsste doch die gesamte QMunity unterschreiben können – Doku ist aus rechtlichen Gründen wichtig, aber ich kennen keinen Qualitätsmanager, dem die Doku wichtiger wäre als das Produkt.
KB: Gibt es einen Grund dafür, dass gerade heute die Diskussion „Agil und QM – Zwei Welten prallen aufeinander“ verstärkt geführt wird?
IA: QM steht eher für die Lenkung gleichbleibender Prozesse – agil für die Abwicklung komplexer Projekte mit hoher Emergenz. Zunehmende Digitalisierung, kleine Losgrößen, Orientierung am individuellen Kundenwunsch, Produktion erst ‚on demand‘ führen zu einer immer mehr projektartigen Steuerung der betrieblichen Abläufe, die ‚Run&Control-Prozesse‘ beschränken sich auf die materielle Massenproduktion. Der QM-Regelkreis läuft in so hoher Frequenz, dass er noch nicht rund ist, wenn er schon wieder verändert wird – dann ist agile Iteration fällig. Veränderungen sind oft nicht mehr als Ausnahme zu berücksichtigen (wie in Kapitel ‚Entwicklung‘ der ISO 9001), sondern nur zu bewältigen, wenn man sie vorausschauend angeht, das Manifesto sagt ‚begrüßt‘.
KB: Ein funktionierendes Produkt in kurzer Zeit anzustreben, da gehen alle QMler sicher mit. Auch die Effizienz zu steigern (Prozessleistung erhöhen) findet sich ja im agilen Manifest als ‚die Menge ungetaner Arbeit maximieren‘ wieder. Sehen Sie mehr Übereinstimmungen?
IA: Mit etwas gutem Willen kann man das Kapitel Führung der ISO 9001 mit dem Grundsatz ‚Zusammenarbeit und Kommunikation fördern‘ gleichsetzen, auch den Ressourceneinsatz so zu gestalten, dass alle Beteiligten auf Dauer in der Lage wären, das Tempo zu halten lässt sich mit modernen Managementsystemansätzen verbinden. Die agilen Werte ‚Offenheit, Einfachheit, Respekt und Mut‘ könnten vielen eingefahrenen Systemen aus der formalen Ecke heraushelfen.
KB: Klingt ja, als würde das zusammenpassen. Gibt es nichts, wo Sie ahnen, dass der Abstand zwischen QM und agil sehr groß ist?
IA: Eine QM-Kultur, die auf Formalien wie Freigaben, Melde- und Berichtswege abstellt wird sich mit der agilen Empfehlung ‚selbstorganisierender Teams‘ auf Dauer schwertun. Ausschließlich in ‚Abweichung‘ und ‚abstellen‘ zu denken ist mit der agilen Reflexionskultur wohl nicht zu vereinbaren. Auditoren, die ein datiertes Foto eines Entwickler-Scrumboards nicht als dokumentierte Information anerkennen werden es künftig immer schwerer haben. Wer aber gesellschaftlichen, technischen, wirtschaftlichen und arbeitswissenschaftlichen Change antizipiert wird um Anpassungen seiner Organisationsentwicklung – inklusive des formalen Managementsystems – nicht umhinkommen. Die Welt wird agiler – das QM dreht sich hoffentlich mit.
Isabelle Ayere (Dipl.-Ing., Qualitätsmanagerin, Teamgestalterin, Trainerin für agile Methoden, Mitstreiterin im DGQ-Fachkreis Wissensmanagement) Kontakt: www.QUAME.de
Informationen zum DGQ Netzwerk im Norden bei:
Kai-Uwe Behrends
Leiter DGQ Geschäftsstelle Hamburg
Fon: 040-85 33 78 60
E-Mail: kai-uwe.behrends@dgq.de