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Die Forderungen von IATF 16949:2016 richtig interpretieren

IATF 16949:2016 übernimmt die High Level Structure der ISO-9000-Familie und baut auf ISO 9001:2015 auf. Dennoch sind die Anforderungen von IATF nicht nur als Erweiterung von ISO 9001 zu verstehen. Wie unterscheiden sich diese beiden Regelwerke von ihrem Charakter her? Antworten auf diese und weitere Fragen beantwortet DGQ-Trainer Hartmut Ide im Interview.

Welche Unterschiede bestehen zwischen IATF 16949:2016 und ISO 9001:2015. Was bedeuten die Revisionen für Unternehmen?

Hartmut Ide: Mit der Revision von ISO 9001 von 2008 auf 2015 haben die Autoren dieses Normenwerk modernisiert. Der Grundgedanke besteht nun darin, dass den Unternehmen zugetraut wird, ein funktionierendes, zu ihnen passendes Qualitätsmanagementsystem einzurichten. Die Norm  beschreibt Anforderungen, die es ermöglichen, Prozesse sowie Produkte und Dienstleistungen zu planen, um damit erfolgreich am Markt bestehen zu können. Sie gibt aber nicht mehr konkrete Maßnahmen oder Methoden vor, wie Unternehmen dies umsetzen sollen. Man könnte sagen, die Unternehmen sind aus Sicht der Norm „erwachsen“ geworden. Die Autoindustrie teilt dieses Zutrauen nicht, wenn es um ihre Lieferanten geht. Zwar baut IATF 16949:2016 in ihrer Struktur auf 9001 auf und setzt deren Anforderungen voraus. Ihre Ergänzungen engen den Spielraum der Unternehmen aber wieder ein und formulieren konkrete Vorgaben.

Wie erklären Sie sich diesen Unterschied?

Hartmut Ide: Die Autoindustrie hat selbst nicht viel Spielraum. Verdrängungswettbewerb unter den etablierten OEMs, Investoren und neue Wettbewerber, teils aus derselben Branche, teils aus ganz anderen Branchen, erhöhen den Druck. Gleichzeitig sind die OEMs in wachsendem Maße von den Lieferanten abhängig. Das Auto in seiner heutigen Form muss Geld verdienen, solange das Geschäftsmodell der etablierten OEMs noch funktioniert. Die Bänder müssen laufen. Dieses Ziel zieht sich wie ein roter Faden durch die Forderungen von IATF.

Was vermitteln Sie vor diesem Hintergrund Teilnehmern, die zu Ihnen in die Auditoren-Qualifikation kommen?

Hartmut Ide: Mir ist wichtig, dass die Teilnehmer den Gesamtzusammenhang verstehen, dass sie ein „Big Picture“ von der Situation in der Automobilindustrie bekommen. Nur vor diesem Hintergrund lassen sich die Forderungen von IATF richtig interpretieren. Aus der Gesamtperspektive werden die Forderungen dann durchaus verständlich. In ihrer Praxis werden die Teilnehmer täglich mit Verhaltensweisen konfrontiert, die nur aus dieser besonderen Situation heraus zu erklären sind; gleich, ob sie es mit Kollegen aus der eigenen Firma oder mit Vertretern von Lieferanten oder OEMs zu tun haben. Wie immer im Audit gilt auch hier: Die Entscheidungen des Auditors müssen Sinn und Verstand haben. Dafür ist es unerlässlich, das Umfeld zu verstehen, in dem sich der Auditor bewegt.

 

DGQ und DQS informieren über Revision IATF 16949:2016

Der internationale Automobilstandard IATF 16949 wurde im Oktober 2016 veröffentlicht und ersetzt die derzeit noch gültige ISO/TS 16949:2009. IATF 16949:2016 orientiert sich eng an der ISO 9001 und folgt damit ebenfalls der High Level Structure (Grundstruktur für Managementnormen). Unternehmen haben analog zur Übergangsfrist für Zertifikate nach ISO 9001:2008 bis zum 14. September 2018 Zeit, ihre Prozesse dem neuen Standard anzupassen. Danach verlieren die Zertifikate gemäß ISO/TS 16949 ihre Gültigkeit.

Gemeinsam mit der DQS GmbH bietet die DGQ – Deutsche Gesellschaft für Qualität in zwei Kooperationsveranstaltungen die Möglichkeit, sich über die Änderungen und Übergangsfristen zu informieren und in den Austausch mit anderen Experten und Unternehmen der Automobilindustrie zu treten.

Die eintägige Veranstaltung vermittelt die wichtigsten Kenntnisse zur neuen IATF 16949:2016. Die Teilnehmer behandeln den Aufbau und die wesentlichen Neuerungen der Norm  und werden  über die aktuellen Zertifizierungsregeln und Übergangszeiten informiert.

Vorläufiges Programm (Änderungen vorbehalten):

  • 9.30-10.00 Uhr Begrüßungskaffee (optional)
  • Begrüßung und Einführung in den Tag (Agenda)
  • Vorstellung der wesentlichen Änderungen im Überblick
  • Zertifizierungsregeln und Transition (Audit, Zeiten u.a.)
  • Gemeinsame Mittagspause
  • Vorstellung der erweiterten Anpassungen/Änderungen im Detail (Kapitelweise)
    + Erfahrungsaustausch zur praktischen Umsetzung unter Einbindung der TN
  • Kaffeepause
  • Vorstellung der erweiterten Anpassungen/Änderungen im Detail (Kapitelweise)
    + Erfahrungsaustausch zur praktischen Umsetzung unter Einbindung der TN
  • 16.30-17.00 Uhr Ausblick und Ende der Veranstaltung

Termine und Anmeldung

Weitere Informationen zur Veranstaltung und die Möglichkeit zur Anmeldung erhalten Sie auf der Website der DQS:

Automotive: Revision IATF 16949:2016 – 27.06.2017

Uhrzeit: 09:30 Uhr

Ort: Nürtingen

Kosten: 480,-€ zzgl. MwSt.

Mehr Informationen und Anmeldung >>

Automotive: Revision IATF 16949:2016 – 08.11.2017

Uhrzeit: 09:30 Uhr

Ort: Bad Vilbel (bei Frankfurt am Main)

Kosten: 480,-€ zzgl. MwSt.

Mehr Informationen und Anmeldung >>

DQS-Webinar zur Revision IATF 16949

Im 60-minütigen DQS-Webinar “IATF 16949 ersetzt ISO/TS 16949: Wir bereiten Sie auf den Übergang vor” erhalten Sie die wichtigsten Informationen zu den zeitlichen Vorgaben in Bezug auf den Übergang und zu den signifikantesten Änderungen der Revision. Das nächste Webinar findet bereits am 4. Mai 2017 statt.

Zur Webinar-Anmeldung >>

IATF 16949:2016: Zwangskorsett für die Zulieferindustrie oder handwerklich gut gemachter und zielführend auditierbarer Standard?

Um eine Antwort auf diese Frage zu erhalten, hat Kai-Uwe Behrends, Leiter der Landesgeschäftsstelle Nord der DGQ in Hamburg, mit DGQ-Automotive-Trainer Thorsten Höppner anlässlich einer Firmenkundenveranstaltung zum neuen Branchenstandard der Automobilindustrie gesprochen.

DGQ-Trainer Thorsten Höppner findet, der neue Standard ist "handwerklich" einfach gut gemacht.

DGQ-Trainer Thorsten Höppner findet, der neue Standard ist ‚handwerklich einfach gut gemacht‘.

Kai-Uwe Behrends: Der neue Automobilstandard wird vom Internationalen Verband der Automobilhersteller (IATF) gehalten, nicht mehr von ISO. Ist das eine ‚Privatisierung‘ von gemeinwohlorientierten Normen zu eigennützigen Zwecken?

Thorsten Höppner: Praktisch ändert sich nicht viel: IATF sagt selbst: „… der QMS-Standard der Automobilindustrie kann nicht als eigenständiger QMS-Standard angesehen werden. Vielmehr ist dieser Standard als Ergänzung zu und nur in Verbindung mit der ISO 9001:2015 zu verstehen.“ IATF ist weiter dem TC 176 der ISO verbunden, richtet sich (im Gegensatz z.B. zur neuen Medizinprodukte ISO 13485) nach der vorgegebenen Grundstruktur (HLS), war sehr schnell in der Überarbeitung beim Konsens (anders als etwa ISO selbst bei der Arbeitsschutznorm ISO 45001). Spürbar ist für den Anwender erstmal nur, dass ISO 9001 im Automobilstandard nicht mehr mitabgedruckt ist.

KB: Kollegen haben einmal gezählt und kamen auf 24 neue Anforderungen, 35 erweiterte Anforderungen und max. 26 zu dokumentierende Prozesse. Ist das nun die ‚Geißel der OEMs für die Zulieferindustrie‘, ein Rückfall in Zeiten vor QS9000?

TH: Es gibt neue Forderungen, es gibt eine noch engere Führung als durch die TS 16949. Allerdings sind etliche bisher kunden- oder länderspezifische Forderungen nun in der Norm, entfallen aber dafür als ‚Sonderlocken‘. Die Branche hat nun mehr Standard und weniger Extrawünsche – das ist nur zu begrüßen. Umfang und Detaillierung haben zugenommen – aber das liegt auch an sehr vielen hilfreichen Beispielen. Diese werden im Ergebnis für sehr viel mehr Klarheit sorgen, individuelle Interpretationsspielräume der Auditoren werden eingegrenzt, Kommunikation wird widerspruchsfreier – auch das ist zu begrüßen.

KB: Aber da ist von Nickligkeiten zu lesen wie etwa, dass Sperrlagerteile unbrauchbar gemacht werden müssen… ist das nicht zu ‚kleinkariert‘, schadet so etwas nicht dem Ansehen des QM, des Berufsstands?

TH: Im Gegenteil. Auch solche erstmal merkwürdig erscheinenden Forderungen sind Ergebnis des Erfahrungswissens von Praktikern, die im Konsens in den Standard eingeflossen sind. Stellen Sie sich den Reputationsschaden und die Haftungsquerelen vor, die entstehen, wenn z.B. Außenstehende sicherheitsrelevante Teile vom Schrott nehmen (‚sieht doch noch gut aus‘) und auf Onlineplattformen ‚privat‘ verkaufen. Das musste ausgeschlossen werden.

KB: Sie sind ein echter Fan, gibt es denn kein ‚Haar in der Suppe‘, nichts aus Sicht des Anwenders Bedenkliches?

TH: Glücklicherweise hängt IATF 16949 an der ISO 9001:2015, das begrenzt den Aufwand für die Anwender. Bedauerlicherweise heißt das aber auch, dass die Übergangsfrist von ISO 9001 auch für die IATF 16949 gilt. Der 14. September 2018 scheint noch lang hin. Aber die Forderungen müssen in den Betrieben umgesetzt werden. Auditoren müssen ausgebildet und durch die Zertifizierer zugelassen werden. Es ist zu befürchten, dass gerade erfahrene Auditoren die erneuten Qualifizierungs- und Aufrechterhaltungsaufwende scheuen, den automotiven Auditorenmangel noch verstärken. Es könnte auf Seiten der Zertifizierer zum Ende der Übergangsfrist hin zu Engpässen kommen. Wer kann, sollte nicht mehr aufschieben, sondern zügig die Umstellung mit seinen Dienstleistern planen.

KB: Zurück zu den großen Entwicklungen: Was ist aus Ihrer Sicht der wirkliche Meilenstein bei der Überarbeitung, wo sitzt der Treiber für echte Veränderung und Verbesserung für die Anwender?

TH: Das ist der gesamte Komplex ‚Lieferkette‘. Die Prozesseigner werden auch dafür in die Pflicht genommen. Es gibt nun ganz klare Anforderungen an 2nd-Party-Audits und –Auditoren. Neben den Teile- und Produktionsausrüstungsherstellern sind nun auch Dienstleister wie Entwicklerbüros und auch Software-‚Lieferungen‘ dahingehend zu betrachten, wieweit sie als externe Anbieter mit einbezogen werden müssen. Statt abstrakter Forderung nach ‚Lieferantenentwicklung‘ gibt es ein ganz klares Fünf-Stufen-Modell für die Entwicklung des QM Systems für externe Anbieter. Auch hier sehe ich starke Verbesserungen für die Branche – jedenfalls ‚nach Pareto‘. Er passt für Bosch, Hella und Conti… die 10-Mann-Betriebe im Schwarzwald, die Zerspahner im Sauerland, der kleine Kunststoffspritzer im Emsland – die werden an den Forderungen zu knabbern haben. Aber die können ja auf die Unterstützung durch die DGQ bauen, auf Leute, die Freiheitsgrade interpretieren können, statt Formalismen überzustülpen.

KB: Ihre Gesamtbewertung in einem Satz?

TH: Der Standard ist aus meiner Sicht als Praktiker, Trainer und Auditor ‚handwerklich einfach gut gemacht‘.


Weitere Informationen:

Thorsten Höppner, Dipl.-Ing., DGQ -Trainer, Lead Auditor 3rd Party ISO TS 16949, nach 13 Jahren in Zulieferindustrie und bei OEM in HH seit 2011 selbstständig mit  QMH-Consulting GmbH in den Schwerpunkten Lieferantenentwicklung, Auditierung von Lieferanten nach VDA5.3, Training und Implementierung QM Systeme nach ISO 9001 und IATF und (Core-Tools (automotive Methoden nach VDA und AIAG, FMEA ,APQP ,SPC ,MSA , TPS, Reifegradabsicherung, Lean Production).

Kai-Uwe Behrends, Leiter  Landesgeschäftsstelle Nord der Deutschen Gesellschaft für Qualität e.V., Hamburg; Auditleiter der DQS; EFQM-Assessorentrainer

Neue Automotive-Trainings zu IATF 16949:2016 und VDA 6.3