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Modernes Qualitätsmanagementverständnis im Kontext Hospiz

Wenn wir auf moderne QM-Systeme in der Wirtschaft schauen, so geht es um Effizienz, um Wertschöpfung, um Wettbewerb. Moderne Systeme haben zum Ziel, die Geschäftsprozesse wirtschaftlicher zu machen und die Wettbewerbsfähigkeit zu steigern. Sie sind für Unternehmen angelegt, die Teil einer Wertschöpfungskette sind und Erträge erwirtschaften. Kann man diese Kriterien ohne weiteres auf Dienstleistungsbereiche übertragen?

Die Konzepte Wettbewerb, Wertschöpfung, Effizienz wirken im Kontext Hospiz beinahe grotesk. Wenn man sich die Hospiz-Leitbilder anschaut, dann geht es um das Leben, um Würde. Qualität misst sich an diesen Orten daran, das Leben für die betreuten Menschen so erträglich und angenehm wie möglich zu machen und sie auf ihrem Weg zu unterstützen. Qualitätsmanagement muss die Prozesse so steuern, dass dieses Ziel erreicht werden kann. Mit der wertschöpfungsgeleiteten Sicht auf modernes QM kommen wir hier nicht weiter.

Neues Bundesrahmenhandbuch bietet Orientierung für stationäre Hospize

„Qualität sorgsam gestalten“ lautet der Titel des neuen „Bundesrahmenhandbuches Stationäre Hospize“, das Ende Februar von der Caritas, der Diakonie und dem Deutschen Hospiz- und PalliativVerband öffentlich vorgestellt wurde. Er drückt aus, dass es sich im Falle der stationären Hospize um eine besondere Art der Qualität handelt. Diese soll nicht einfach „gemanaged“, sondern gestaltet werden. Der Begriff Gestaltung setzt voraus, dass man dafür einen Raum hat. Es gibt QM-Systeme, die durch Gesetze, Regeln und vertragliche Vorgaben in einer Weise eingeengt sind, dass ein Gestaltungsraum fehlt. Wir sehen in der Altenpflege derzeit mit dem Indikatorenmodell und der Ablösung des sogenannten Pflege-TÜV einen Versuch, einen Ausweg aus so einem Dilemma zu finden. Qualitätsmanagement ist dort über zweieinhalb Jahrzehnte zu einer Kontroll-Instanz mutiert, der Räume fehlen und deren Akzeptanz verloren gegangen ist. Das ist weder sinnvoll noch modern. Es zeigt sich also: Voraussetzung für modernes QM in der Dienstleistung ist ein Gestaltungsraum. Dieser Spielraum – so hält auch das „Bundesrahmenhandbuch Stationäre Hospize“ einleitend fest – bewegt sich freilich innerhalb der sich fortentwickelnden Gesetze und vertraglicher Regeln und Vorgaben. Es gibt also Spielregeln für den Gestaltungsraum.

Beziehungen und Kommunikation spielen wichtige Rolle

Das Bundesrahmenhandbuch macht beispielsweise Vorschläge für ein entsprechendes Hospiz-Zertifizierungsverfahren. Es empfiehlt unter anderem, dass Audits mit Menschen besetzt werden sollten, die Qualifikationen und Kompetenzen mitbringen, die sie im Besonderen für die Auditierung stationärer Hospize befähigen. Hier kommt ein weiterer wichtiger Punkt für ein modernes Dienstleistungs-QM ins Spiel: Kontrollieren war gestern, heutzutage geht es um Augenhöhe und Akzeptanz. Der Weg dorthin geht über Kommunikations- und Beziehungsarbeit. Im Handbuch heißt es dazu auf Seite 8: „Die Gestaltung der Beziehung und deren Qualität ist eine wichtige Basis hospizlicher Arbeit“. Was für die Beziehung zwischen Hospizgast und die an der Hospizarbeit beteiligten Menschen gilt, ist auch auf das Zusammenwirken im Qualitätsmanagement und die Qualitätssicherung übertragbar: Audits sind Beziehungsarbeit!

Ein modernes QM beinhaltet daher partnerübergreifende Audits. Das bedeutet, dass alle am Versorgungsprozess beteiligten Gruppen, also neben dem professionellen Care-Team auch zum Beispiel Hospizgäste und Ärzte, in die Audits einbezogen werden. Das setzt voraus, dass Auditoren und Auditierte auf Augenhöhe kommunizieren. Es kommt auf Kompetenzen, Bewusstsein und Kommunikation an.

Doch was macht nun eigentlich ein modernes QM-Verständnis für das Hospiz aus?

Stationäre Hospize haben, so führt das Bundesrahmenhandbuch aus, „ganz unterschiedliche und vielfältige Wege gefunden, ihren Auftrag zu erfüllen.“ (BRH, S. 10) und weiter, dass es sich um eine „bunte Hospizlandschaft“ (BRH, ebendort) handelt. Trotzdem wird einleitend der Anspruch formuliert, dass sich mit dem Bundesrahmenhandbuch ein QM-System für diese bunte Vielfalt der Einrichtungen zuschneiden ließe (BRH, S. 3), aufbauend auf einem hoch entwickelten Qualitätsanspruch wie er in Hospizen herrscht.
Aber wird ein QM-System nicht beliebig, und leidet darunter nicht die Qualität, wenn sozusagen alle Teile unter den Hut passen sollen, egal wie eigenwillig und bunt sie sind?

Soziale Realitäten sind anders als industrielle

Wie bereits erwähnt, hat die Wirtschaft wertschöpfungsgeprägte QM-Modelle hervorgebracht, die nach den Maßstäben der Effizienz und Effektivität modern sind. Sie folgen dem Denkmuster, dass Organisationen wie Maschinen funktionieren, bei denen auch die beteiligten Menschen sich dem Zweck unterordnen, vordergründige Kundenbedürfnisse zu befriedigen. Die Stellschrauben in diesen Systemen sind vor allem harte Faktoren, sie basieren auf messbaren Fakten, sind evidenzbasiert und quantifizierbar.

Soziale Realitäten sind anders. Hospize sind Einrichtungen, an denen Menschen während einer bestimmten Lebensphase versorgt werden. Sie verhalten sich nicht nach einfachen linearen Ursache-Wirkungszusammenhängen. Sie sind keine technischen Systeme, die nach dem Prinzip – Stecker rein, Licht an – funktionieren. Vielmehr stehen alle Elemente des Systems in Wechselwirkung mit den übrigen Teilen. Das gilt bezogen auf Organismen und lässt sich auf Organisationen übertragen. Die Menschen, die Bereiche, die Aufgaben und Bedürfnisse, die dort zusammenkommen, machen die Organisation erst zu dem was sie ist und beeinflussen sich gegenseitig. Moderne Managementsysteme, die auch auf Hospize anwendbar sind, müssen diesen Zusammenhang berücksichtigen. Sie müssen auf der einen Seite das Konzept des systemischen Qualitätsmanagements umfassen, nämlich alle Strukturen, Hierarchien, Netzwerke und Ressourcen der jeweiligen Einrichtung abbilden. Darüber hinaus gilt es, „weiche Faktoren“ zu berücksichtigen. Lebensqualität ist ein solcher „weicher Faktor“. Kaum ein Konzept wird so widersprüchlich diskutiert. Die Messbarkeit von Lebensqualität hat – egal ob es sich um einen Hospizgast, um Personal oder um Zugehörige handelt – ein Evidenzproblem. Sie ist hochgradig subjektiv und schlecht quantitativ zu erfassen. Dennoch: Weiß nicht eigentlich jeder Mensch, wie es ihr oder ihm gerade geht?! Und: Der Erhalt der Lebensqualität für die meist kurze Zeit, die ihnen verbleibt, ist DER Grund für Menschen, ein stationäres Hospiz aufzusuchen.

Wie kann ein modernes QM-Verständnis in Hospizen erreicht werden?

Der moderne systemische QM-Ansatz ist also um folgende Dinge zu ergänzen, um attraktiv und sinnvoll für Hospize zu sein:

  • Menschen mit ihren Bedürfnissen in den Mittelpunkt stellen. Dieser Grundsatz ist im Aufbau des „Bundesrahmenhandbuchs Stationäre Hospize“ bereits angelegt. Denn nach dem ersten Kapitel, das den konzeptionellen Rahmen der jeweiligen Einrichtung beinhaltet, folgt zuerst der Bereich Hospizgäste und ihre Zugehörigen. Dort würde man zunächst die Organisationsstruktur erwarten. Im nächsten Abschnitt folgen die Mitarbeiterinnen, das Team. Erst danach, in Abschnitt 4, werden die „Grundlagen der Organisation“ adressiert. Hier ist also bewusst in der Reihenfolge der Kapitel eine Gewichtung der Menschen im Hospiz auf „ganz nach vorn“ geschehen. Die Nutzer des Handbuches werden diesen Fokus nun in ihre jeweiligen QM-Systeme übernehmen. Da QM-Systeme auch ein Stück weit Organisationsentwicklung sind, ist davon auszugehen, dass sich diese Perspektive auch in die jeweilige Organisation hineinträgt.
  • Daraus ergibt sich zweitens, dass Beziehungsgestaltung ein wichtiges Qualitätsmerkmal ist. Beziehung und Kommunikation beeinflussen maßgeblich die Lebensqualität. Das Bundesrahmenhandbuch hält dazu Anforderungen und Kriterien in quasi jedem Zusammenhang der Hospizarbeit bereit.
  • Die Qualität der Beziehungen ist darüber hinaus eine Voraussetzung für Netzwerkarbeit. Hierin liegt ein Schlüssel für das Gelingen sozialer Arbeit. Die Netzwerkorientierung entspricht demgemäß einem Verständnis moderner Qualitätsgestaltung und findet ebenfalls im Handbuch Berücksichtigung.

Abschließend ist folgender Gedanke einzubringen:

Das QM-Verständnis im Hospiz- und Palliativ-Bereich befindet sich in einer Phase des Umbruchs. Zu den Herausforderungen zählt, dass allgemein die Überprüfbarkeit und auch die Wirksamkeit der Arbeit im sozialen Kontext immer mehr in den Fokus des öffentlichen Interesses rückt. Der Gesetzgeber liefert dafür in den letzten Jahren einige Beispiele. Das kann man kritisch sehen. Wichtig ist wohl, dass dabei nicht kurzfristige Erwartungen, wirtschaftliche Effektivität und allein harte Faktoren in den Vordergrund rücken. Zu den Chancen gehört, dass es für den Bereich Hospiz noch keine vergleichbare Überregulierung wie zum Beispiel in der Langzeitpflege gibt und das QM gleichzeitig nicht unter der Dominanz einer Berufsgruppe steht wie in der Klinik. Die beteiligten Professionen haben die Gelegenheit, sich bei der Ausgestaltung des Hospiz-QM gemeinsam einzubringen. Dafür bietet das Qualitätsrahmenhandbuch den sorgsam gestalteten Rahmen. Noch dazu einen, der das Potential hat, moderne Aspekte des QM umzusetzen.


Über den Autor:

Holger Dudel ist Fachreferent Pflege der DGQ. Er ist gelernter Krankenpfleger und studierter Pflegepädagoge und Pflegewissenschaftler. Er hat zuvor Leitungsfunktionen bei privaten, kommunalen und freigemeinnützigen Trägern der Langzeitpflege auf Bundesebene innegehabt. Qualität im Sozialwesen bedeutet für ihn, dass neben objektiver Evidenz auch das „Subjektive“, Haltung und Beziehung ihren Platz haben.