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Empowerment in der Pflege und die Rolle der Organisation

Empowerment, Pflege, Fachkräfte, Magnetmodell

Die Pflege-Branche ist und das nicht erst seit der erhöhten Wahrnehmung durch die Corona-Pandemie, einer Vielzahl an Herausforderungen ausgesetzt. Hier sind allem voran der demografische Wandel, begrenzte finanzielle Mittel und natürlich auch der Fachkräftemangel zu nennen.

Der Fachkräftemangel ist auf vielschichtige Gründe zurückzuführen. Ein großer Punkt in diesem Zusammenhang ist mit Sicherheit das Rollenbild sowie das Image des Pflegeberufes, das zum einen aus der äußeren, aber auch der inneren Wahrnehmung resultiert. Dies sorgt für wenig Nachwuchs, da die eigentlich wertvollen Aspekte der Profession leider meist untergehen.

Ein Magnet für Fachkräfte

Dennoch gibt es Organisationen, die von der Personalproblematik weniger stark betroffen sind. Mit dieser grundlegenden Frage beschäftigt sich das Magnet-Konzept, welches weiterhin vor allem in den USA Umsetzung findet. Dieses Konzept liefert einige Erklärungsansätze im Kontext der Professionalisierung der Pflegepraxis.

Das Magnet-Konzept beschreibt Schlüsselkomponenten, die ausschlaggebend für den Erfolg oder Misserfolg einer Organisation im Hinblick auf ihre personellen Ressourcen sind. In den Magnet-Einrichtungen wird Fachpersonal, wie es der Name sagt beinahe „magnetisch“ angezogen, während in anderen Organisationen weiterhin akuter Personalmangel vorherrscht.

Strukturelles Empowerment stärkt

Die identifizierten Bestandteile der Magnet-Einrichtungen zeigen sich insbesondere im Empowerment der einzelnen Mitarbeitenden. In Organisationen des Gesundheitswesens wurde diesem Aspekt und den daraus resultierenden Möglichkeiten bisher jedoch nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Unabhängig vom Magnet-Modell hat das Konzept des strukturellen Empowerments seinen Ursprung in Forschungsarbeiten, die untersuchen, wie Arbeit Menschen stärken kann, anstatt sie zu schwächen, und dabei dennoch eine hohe Effektivität gewährleistet (s. Weibler 2017). Im Zentrum steht die “Übertragung von Entscheidungsautorität und Verantwortung auf die jeweils nachgelagerte Hierarchieebene” (vgl. ebd.).

Ergänzung durch psychologisches Empowerment

Das klassische strukturelle Empowerment, wie es auch in den fünf Schlüsselkomponenten des Magnetmodells zu finden ist, wurde in der Forschung durch das Konzept des psychologischen Empowerments erweitert. Im Rahmen des psychologischen Empowerments werden neben Selbstbestimmung auch die Unterstützung bei der Entwicklung benötigter Kompetenzen sowie die sinnvolle Erfahrung der eigenen Tätigkeit betont. Interessant wird dieser Ansatz vor allem dann, wenn man sich mit der aktuellen Diskussion, um die Vorbehaltsaufgaben auseinandersetzt. Denn was bedeutet eine solche Veränderung der Aufgaben für die tägliche Pflegepraxis? Welche Kompetenzen und organisationalen Rahmenbedingungen werden benötigt?

Erhöhte Identifikation mit dem Arbeitgeber

Die Forschung zum Magnet-Konzept sowie die Diskussionen über New Work liefern bereits erste Erkenntnisse zu diesem Thema. Dies beinhaltet nicht nur Aspekte des Empowerments, sondern auch Anreize und die Motivation zu lebenslangem, beruflichen Lernen (s. Luzinski 2012, S. 3; Spence Laschinger et al. 2003, S. 411). In Organisationen, in denen Führungskräfte eine entsprechende Haltung auf die nachgeordnete Ebene übertragen, ist die Personalsituation deutlich weniger angespannt. Die Bindung und Identifikation mit dem Arbeitgeber sowie dem Pflegeberuf sind im Vergleich zu Referenzorganisationen signifikant gesteigert. Zu dem wird Wertschätzung stärker wahrgenommen und fachliche Know-How häufiger in die tägliche Praxis integriert (s. Gasda 2002, S. 340; Spence Laschinger et al. 2003, S. 419).

Gewährter Handlungsspielraum wird genutzt

Des Weiteren haben Mitarbeitende in Magnet-Einrichtungen mehr Handlungsspielraum in ihrer täglichen Praxis und nutzen diese auch entsprechend. Das hat wiederum Auswirkungen auf ihre eigene Arbeitsumgebung. Sie sind freier in der Abwicklung ihrer täglichen Abläufe und organisieren beispielsweise auch die Arbeitsbelastung autonomer, da hier Einflussmöglichkeiten vorliegen und die Arbeit nicht top-down organisiert wird (s. Spence Laschinger et al. 2003, S. 411, 420). In der Folge können die Pflegefachpersonen die positiven Seiten des Pflegeberufes viel stärker wahrnehmen. Der soziale Aspekt wird stärker in den Vordergrund gestellt und die eigene Arbeit viel wertvoller empfunden.

Vorbehaltsaufgaben treffen auf Führungskultur

Ganz entscheidend für den Erfolg der Umsetzung von Vorbehaltsaufgaben ist es daher, dass die Haltung und der entsprechende Führungsstil in Einrichtungen des Gesundheitswesens vorhanden sein müssen und dass diese Prozesse aus der Organisation heraus entwickelt werden.

Die Führungskraft muss Räume schaffen, um Pflegekräfte im Alltag zu stärken, indem sie diesen die Möglichkeit gibt, eigenständig zu handeln und zu gestalten. Dadurch entsteht professionelles Handeln und Stolz. Diese Professionalität wirkt über die Grenzen der Organisation hinaus. Die Mitarbeitenden können sich an ihrem Arbeitsplatz wohl fühlen, sich entfalten, haben einen echten Einfluss auf ihre Arbeit und tragen das auch weiter.

Erfolgsfaktor Weiterbildung

Ein zusätzlicher Aspekt neben Empowerment und Mitarbeiterautonomie ist das Thema Weiterbildung. Um Pflegekräfte langfristig zu motivieren, ist Weiterbildung unerlässlich. Sie führt nachweislich zu einem gesteigerten Selbstbewusstsein und idealerweise zu einem besseren Verständnis für die eigene Berufstätigkeit oder Profession. Weiterbildungen regen dazu an, Fragen zu stellen und über bestehendes Wissen nachzudenken. Durch strategische Partnerschaften mit Pflegeschulen und pflegewissenschaftlichen Hochschulen kann die Haltung und professionelle Arbeitsweise einer Organisation von Anfang an gefördert werden, um eine nachhaltig positive Sozialisierung im Pflegeberuf zu gewährleisten. Gleichzeitig kann die Entwicklung von Führungskräften sowie anderen wichtigen Schlüsselakteuren wie Fachpflegekräften (z. B. in der Diabetologie oder Gerontologie) im Einklang mit der Organisationsphilosophie erfolgen.

Transformation am besten aus der Organisation heraus

In Summe führen die einzelnen Teile von Magnet, New Work und anderen Organisationsdesigns immer wieder dazu, dass Prozesse, Aufgaben und auch Rollenbilder aus der Organisation heraus entwickelt werden müssen und nicht nur rein durch Top-down-Ansätze bewirkt werden können. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Top-down-Veränderungen aus dem Management oder über politische Entscheidungen angestoßen werden. Es ist unerlässlich, dass vor Ort in den Einrichtungen die entsprechenden Weichen durch eine entsprechende Kultur gestellt werden. So kann die Transformation gelingen und nachhaltig Veränderung im Inneren und Äußeren erreicht werden. Das Zusammenspiel externer Wahrnehmung, dem Selbstbild der Pflegekräfte, den Möglichkeiten der Selbstorganisation und das daraus entstehende Wirksamkeitserleben führt zum einen zu einer deutlich höheren Zufriedenheit der professionell Pflegenden, zum anderen steigt damit aber auch die Attraktivität des Pflegeberufes (s. Schiller et al. 2020; Weibler 2017).

 

Über die Autorin:
Louise Enz ist examinierte Gesundheits- und Krankenpflegerin und hat sich schon während ihrer Masterthesis mit den Attraktoren von Magnetkrankenhäusern in Zusammenhang mit der stationären Langzeitpflege befasst. Derzeit arbeitet sie als Vorstandsreferentin beim Paul-Gerhardt-Werk e.V. in Offenburg.

 

Lesetipps
Boschert, S. (2020): Wohngruppen in der Altenpflege. Ein Baustein im Quartier: praktische Ideen für Gestaltung und Organisation. Hannover: Schlütersche (Pflegemanagement).
Dignan, A. (2019): Brave new work. Are you ready to reinvent your organization? London: Penguin Business.
Laloux, F. (2017): Reinventing Organizations visuell. Ein illustrierter Leitfaden sinnstiftender Formen der Zusammenarbeit. München: Verlag Franz Vahlen.
Masterarbeit Enz, L. (2022): Die Attraktoren von Magnetkrankenhäusern im Zusammenhang mit der stationären Altenhilfe – Scoping-Review
Merke, P. (2022): New Work in Healthcare. Die neue und andere Arbeitskultur im Gesundheitswesen. Berlin: Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft.


Gasda, Kimberly A. (2002): The Magnetic pull. In: Nursing management 33 (7)
Luzinski, Craig (2012): An innovative environment where empowered nurses flourish. In: The Journal of nursing administration 42 (1), S. 3–4. DOI: 10.1097/NNA.0b013e31823c16fc.
Schiller, Marie-Sophie; Rollow, Bettina; Breidenbach, Joanna (2020): Pflegenotstand – Ist New Work die Lösung? Wie geht New Work in der Pflege? (Ist New Work die Lösung?), 26.08.2020.
Spence Laschinger, Heather K.; Almost, Joan; Tuer-Hodes, Donnalene (2003): Workplace Empowerment and Magnet Hospital Characteristics: Making the Link. In: JONA: The Journal of Nursing Administration 33 (7/8).
Weibler, Jürgen (2017): Empowerment. Mitarbeiter mobilisieren und binden. Hg. v. Leadership Insiders (Führung im Fokus). Online verfügbar unter https://www.leadership-insiders.de/empowerment-mitarbeiter-mobilisieren-und-binden/print/.


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