Menü

Klientenberatung in der Pflege: Heterogenes deutsches Sozialleistungs-System als Herausforderung

Wer pflegebedürftig ist, hat Anspruch auf Leistungen aus der Pflegeversicherung. Nach dem Gesetz betrifft dies in Deutschland mehr als vier Millionen Menschen. Schnell finden sie sich in einem komplexen und uneinheitlichen Sozialleistungs-System wieder. Dies beginnt bereits bei der Beratung. Die Gründe sind vielfältig und erschweren die Orientierung der Betroffenen in einer neuen, ungewohnen Lebensphase.

Im Jahr 1995 wurde die Pflegeversicherung eingeführt, um dem wachsenden Ressourcendruck in der Langzeitpflege zu begegnen. Der Pflegebedarf steigt durch demographische Veränderungen mit mehr alten, alleinlebenden und pflegebedürftigen Menschen kontinuierlich an. In der Zwischenzeit ist ein gewaltiger Markt entstanden, der sich durch die Nachfragesituation immer weiter differenziert. Der Gesetzgeber und nachgeordnete Stellen haben ein komplexes Regelwerk an Maßstäben, Grundsätzen und Richtlinien geschaffen. Es ist die Basis für die Qualitätssicherung und soll gute Pflege fördern.

Welche Möglichenkeiten der Pflegeberatung gibt es?

Wer heutzutage in Deutschland in die Situation gerät, Möglichkeiten, Ansprüche und Voraussetzungen der Pflege zu klären, zum Beispiel nach einem Krankenhausaufenthalt, kommt nicht umhin, sich beraten zu lassen. Denn die Komplexität des Systems hat dazu geführt, dass Ansprüche vielfältig, Anträge aufwändig und die Möglichkeiten der Hilfestellung unüberschaubar sind.

Die Pflegeberatung ist dabei häufig die erste Station für Menschen, die in eine neue Lebensphase eintreten und Hilfe benötigen. Sie selbst und meist auch die Angehörigen haben Fragen, stehen vor Herausforderungen. Aber wer sich Informationen einholen will, stößt auf eine Vielzahl von Angeboten. Für Bezieher von Pflegegeld und in der ambulanten Pflege gibt es sogar eine Beratungspflicht. Doch die Vorgaben sind lückenhaft, werden nicht flächendeckend umgesetzt und sind nicht einheitlich standardisiert.

Der Beratungsmarkt ist unübersichtlich. Sowohl die Trägerschaft für Beratungsleistungen wie auch Umfang und Format sind vielfältig. Telefonische und internetbasierte Beratungsangebote gewinnen immer größere Bedeutung. Allerdings lassen sich Fragen im direkten Gespräch häufig besser beantworten. Doch wichtige Angebote wie die individuelle Beratung zur Feststellung des allgemeinen Hilfebedarfs, die im §7a des elften Sozialgesetzbuches (SGB XI) geregelt ist, bleiben zum Teil ungenutzt. Dabei fehlt es oft nicht an guter Absicht oder Willen in den Beratungsstellen. Doch die Praxis zeigt, dass Informationssuchende auch diese Beratungstermine häufig mit noch mehr Fragen verlassen.

Warum ist das Sozialleistungs-System so unüberschaubar?

  • Deutschland ist ein Sozialstaat und regelt die Ansprüche, die Menschen an das Sozialsystem haben in Gesetzen. Diese geben den allgemeinen Leistungsrahmen vor. Auf der Bundesebene ist das für die Pflege das elfte Sozialgesetzbuch (SGB XI), die gesetzliche Pflegeversicherung. Diese wird ergänzt durch Gesetze auf Länderebene, Verordnungen und Richtlinien, die wiederum in der sogenannten Selbstverwaltung des Gesundheitswesens begründet sind. Es gibt also eine Vielzahl von Playern, die auf die Gestaltung der Leistung Einfluss nehmen. Das Subsidiaritätsprinzip trägt mithin zu einem Teil zur Vielfältigkeit in der Beratungslandschaft bei.
  • Zweitens handelt es sich bei jedem Hilfesuchenden um einen individuellen Fall. Die Art und der Umfang der Leistungsansprüche muss daher unter Berücksichtigung der gesetzlichen Grundlagen in jeder persönlichen Situation individuell ermittelt werden. Das Ergebnis ist eine Beratungsleistung, die für jeden Menschen verschieden ist, sogar bei derselben Person mit zeitlichem Abstand.
  • Einige Sozialgesetzbücher sind nach dem Teilleistungsprinzip angelegt. Dazu gehört die Pflegeversicherung. Manche Pflegeleistungen sind daher nicht durch das Sozialsystem finanzierbar, aber dennoch im Individualfall erforderlich. Daraus ergibt sich gegebenenfalls ein Mix aus Leistungsanspruch und Eigenleistung. Dies muss in der Beratung entsprechend berücksichtigt werden.
  • Die rechtlichen Vorgaben für die Pflegeleistungen fußen nicht – wie zum Beispiel in der Medizin – auf einer fachbezogenen Einteilung, sondern ergeben sich aus einer juristisch-volkswirtschaftlichen Perspektive. Das kompliziert die Beratung, denn nicht die pflegerische Expertise gibt die Leistungsansprüche an erster Stelle vor. Vielmehr existiert eine eigens für die Gesetzgebung geschaffene Einschätzungsmatrix, nach der sich der Leistungsanspruch ergibt. Dieser wiederum ist in Budgetstufen und Einzelleistungen gegliedert.
  • Die gesetzlich finanzierte Beratung ist im Regelfall neutral und zielt darauf ab, den individuellen Unterstützungsbedarf zu ermitteln und welche Leistungsansprüche sich daraus ergeben. Sie befindet sich damit in einem Dilemma, weil ihr gesetzlicher Auftrag zwar erlaubt, dem Klienten Hinweise zu geben, was gute Pflege ist. Aber sie muss mit Rücksicht auf das Neutralitätsgebot bei der Empfehlung für Leistungserbringer behutsam vorgehen. Informationssuchende erhalten daher häufig mehrere Kontakte. In einem weiteren Schritt kann man dann zum Beispiel über die Qualitätsdaten, die für alle Pflegeeinrichtungen öffentlich abrufbar sind, eine Auswahl des Leistungsanbieters treffen.
  • Der politische Wille zur Gestaltung und Gewichtung der Beratung ist regional unterschiedlich. So hat das Bundesland Rheinland-Pfalz zum Beispiel über 135 Pflegestützpunkte bei gut vier Millionen Einwohnern. Nach der Bevölkerungszahl müsste Hamburg mit knapp 1,9 Millionen Einwohnern rechnerisch über ca. 61 Stützpunkte verfügen, hat aber lediglich neun. Auch wenn man berücksichtigt, dass es sich um den Vergleich eines Flächen- und eines Stadt-Staates handelt, gibt es doch offenkundig in der politischen Ausgestaltung dieses Angebots regional unterschiedliche Herangehensweisen und Prioritäten.
  • Die gesetzlichen Rahmenbedingungen haben insgesamt zu einer fachlichen Zergliederung geführt, Pflege ist nicht gleich Pflege. Für einen Menschen, der in einem Krankenhaus pflegerische Leistungen erhält, gelten Regelungen aus der Krankenversicherung (SGB V). Für denselben Menschen wird in einem Pflegeheim die pflegerische Situation nach den Regeln der Pflegeversicherung (SGB XI) beurteilt. Wieder anders gestaltet sich Pflege auf Basis der Teilhabe-Gesetzgebung (SGB IX), wenn zum Beispiel eine Beeinträchtigung oder Behinderung zu einem Pflegebedarf führt. Die Vielfalt der Grundlagen für die Leistungsansprüche und ihre Ausgestaltung kann einen Beratungsvorgang für Pflegeleistungen zu einem komplexen Unterfangen machen.

Es spielt also für die Leistungsansprüche und damit für die Beratung eine Rolle, aus welchem Sozialgesetzbuch sich der Leistungsbedarf ergibt. Der kann aus einer Krankheit, einem Unfall oder dem altersbedingten Nachlassen von Kompetenzen oder aus einer Behinderung resultieren. Entsprechend unterschiedlich sind die Beratungssettings ausgestaltet.

Eine Übersicht über Beratungsanlass, die gesetzlichen Grundlagen und die jeweiligen Erbringer der Beratungsleistungen sind hier aufgeführt:

Übersicht als PDF downloaden »